Rückenschmerzen (Foto: Colourbox, Colourbox -)

Rückenschmerzen bei jungen Menschen

Neue US Studie: Bewegungsmangel und Psyche als Ursachen

Stand
AUTOR/IN
Christoph König
Christoph König, Moderator bei SWR2 (Foto: SWR, Oliver Reuther)
INTERVIEW
Marcus Schiltenwolf
ONLINEFASSUNG
Lisa Hofmann
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Eine Studie aus den USA zeigt: Schmerzen im Rücken haben zunehmend auch jüngere Menschen. Was sind die Ursachen? Als Ursachen dafür benennen die Fachärzte das Wachstum und mangelnde Bewegung, aber auch psychische Gründe. Christoph König im Gespräch mit Prof. Marcus Schiltenwolf, Orthopäde an der Uniklinik Heidelberg.

Haben Sie die Ergebnisse dieser Studie überrascht, Herr Schiltenwolf?
Nein, die Ergebnisse haben mich nicht überrascht, denn Jugendliche sind ähnlichen Voraussetzungen wie Erwachsene ausgeliefert. Letztendlich geht es beim Rückenschmerz zunächst einmal um eine körperliche Beschwerde, die sich aus einer Mischung aus Bewegungsmangel und zu viel Anspannung ergibt. Bei Jugendlichen kommt hinzu, dass sie meistens im elterlichen Haushalt leben: dort sind sie den vielfältigen Spannungen, die während ihres Wachstums und der Entwicklung eigener Bedürfnisse auftreten können, ganz erheblich ausgeliefert. Insbesondere deshalb, da sie von den Eltern, ihrem sozialen Gefüge, abhängig sind.

Ein Arzt hält einen Tablet-PC in der Hand und zeigt auf eine Computeranimation eines Rückens. (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Letztendlich geht es beim Rückenschmerz zunächst einmal um eine körperliche Beschwerde, die sich aus einer Mischung aus Bewegungsmangel und zu viel Anspannung ergibt



Psychische Probleme können also Rückenschmerzen gerade bei Jugendlichen verursachen und der Grund dafür sind die familiären Spannungen?
Natürlich nicht nur, aber unter anderem. Die aktuellen Studien aus den USA richten sich insbesondere an Kinderärzte, da diese Kinder und Jugendliche immer als Teil eines sozialen Gefüges, also ihrer Herkunftsfamilie sehen. Es ist daher wichtig solche familiären Spannungen, die sich unter anderem als Rückenschmerzen ausdrücken können, mit einzubeziehen. Ich muss also darauf eingestellt sein, dass diese Rückenschmerzen auch etwas mit dem familiären Gefüge zu tun haben können – nicht müssen, aber können. Wenn es beispielsweise in einer Familie zwischen Mutter und Vater zu einer Konfliktsituation kommt, können Rückenschmerzen durchaus hilfreich sein, da dann wiederum eine gewisse Veränderung der Aufmerksamkeit eintritt – die Eltern sich also natürlich dann um das von Rückenschmerzen geplagte Kind kümmern müssen.



Das heißt, wir haben es hier mit einer großen Zahl an Simulanten zu tun?
Nein überhaupt nicht, ich bin mir ganz sicher, dass dieses Rückenschmerzproblem real vorhanden ist und ich glaube, dass es wichtig ist, dass die hier angesprochenen Kinderärzte das richtig einschätzen – das Anliegen also ganz loyal wahrnehmen und ein offenes Ohr dafür haben. In dem Artikel zu der Studie wurde eben auch besonderer Wert darauf gelegt, dass Kinderärzte Entwicklungsstörungen der Wirbelsäule, Tumore oder Infektionen erkennen sollten. Trotzdem bleiben diese körperlichen Ursachen eher Raritäten. Unter 100 betroffenen Jugendlichen trifft dies nur auf ungefähr 10 Prozent zu, die anderen 90 Prozent haben zwar auch Rückenschmerzen, aber mit einem anderen Anliegen. Dafür sollte man offen sein und es eben auch erkennen.

Wenn sie einen Jugendlichen mit Rückenschmerzen behandeln, dann fragen Sie also erst einmal nach der familiären Situation?
Gut ist immer eine Sowohl-Als-Auch Einstellung. Einen Blick auf den Körper und mögliche Entwicklungsstörungen oder andere ernsthafte Erkrankungen im Bereich des Rückens, den körperlichen Bedürfnissen des Jugendlichen sowie dessen Freizeitaktivitäten, sind ebenso wichtig wie ein Blick auf seine schulische Situation, auf Stressoren und auf die familiäre Situation. Eben kein Entweder-Oder, sondern immer ein Sowohl-Als-Auch.

Rückenschmerzen (Foto: Colourbox, Colourbox -)
Vieles, was später im Erwachsenenalter funktioniert oder nicht funktioniert, hat seine Ursprünge in der Kindheit und Jugend

Das heißt, der Bewegungsmangel ist im Vergleich zu den psychischen Problemen oder der Gesamtkonstellation in der Familie zu vernachlässigen?
Nein, das gehört zusammen. Wenn ich Bewegungsmangel habe, weil ich mich lieber Zuhause mit meinen multimedialen Spielen beschäftige oder keinen guten Zugang zu meinen körperlichen Bedürfnissen habe, dann ist das ein Risikofaktor für das Auftreten von Rückenschmerzen, diese können aber eben auch durch familiäre Spannungen verstärkt und verschlimmert werden.

Wie geht man denn am besten damit um, was kann ich tun gegen diese Schmerzen?
Es gibt kein Standardrezept, das sollte immer in der einzelnen Situation entschieden werden. Ich glaube die Grundhaltung des Arztes ist ganz wichtig, dass er ein offenes Ohr für das Körperliche und das Nicht-Körperliche hat und den Jugendlichen bei der Möglichkeit unterstützt, zum Beispiel einen besseren Umgang mit seinem Körper zu erlangen. Vieles was später im Erwachsenenalter funktioniert oder nicht-funktioniert hat ja seine Ursprünge in der Kindheit und Jugend. Deswegen ist es auch für jeden Arzt wichtig, dass er einen Blick darauf hat, wie überhaupt der Jugendliche mit seinem Körper umgeht. Und ein aktiver – nicht übertriebener – aber ein guter aktiver Umgang mit dem Körper ist immer besser als körperliches Vermeiden.