Taucher unter Wasser (Foto: SWR, SWR -)

Riffe stärker bedroht als Regenwälder

„Korallen können sich nur begrenzt anpassen“

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Gábor Paál im Gespräch mit Georg Heiss, FU Berlin.

Große Teile des Great Barrier Reef sind ausgebleicht, melden australische Forscher. Zwei Drittel der Korallen seien abgestorben - und das im zweiten Jahr hinterinander. Doch wie zählt man überhaupt tote Korallen in einem 2300 Kilometer langen Riff? Die neuen Zahlen basieren auf Aufnahmen von Flugzeugen. Doch wer den Zustand der Riffe genauer erfassen will, muss tauchen - so wie der Berliner Riff-Forscher Georg Heiss.

Es gibt ja sehr viele Arten von Korallen – Sterben alle gleichermaßen?

Nein. Im Wesentlichen schaut man hier auf die Hart-Korallen – das sind die riffbildenden Arten, die ein Skelett haben. Es gibt daneben Lederkorallen, Christbaumkorallen und ähnliche – das sind Weichkorallen ohne Skelett. Wenn man sie mit einem europäischen Wald vergleicht, entsprechen sie den Farnen. Sie sind können absterben, können aber ganz schnell ein Riff auch wieder besiedeln. Das ist bei Hartkorallen eben anders.

Wie ermittelt man die Absterberate in einem so riesigen und komplexen Gebilde wie einem Korallenriff? Zählt man die toten Arten und rechnet dann einfach hoch?

Normalerweise macht man Detailaufnahmen, das können Quadrataufnahmen sein, z.B. fünf auf fünf Meter, oder auch entlang von Leinen, die gespannt werden – zwischen 50 und 100 Meter, je nach Methode. In diesen Zonen wird der Anteil der lebenden und der toten Korallen oder anderer Organismen ermittelt. Um eine größere Fläche zu erfassen, kann man sich schnorchelnd hinter einem Boot herziehen lassen und eine Serie von Fotoaufnahmen machen. Durch den Vergleich mit den Detailaufnahmen lässt sich dann sehr genau sagen, wie groß der Anteil der abgestorbenen Korallen ist. Man erkennt sie vor allem durch das Korallenbleichen. Wenn sie kurz geblichen sind, sind sie strahlend weiß.

Das Bleichen geht ja dem Absterben voraus.

Ja. Die Koralle lebt normalerweise in Symbiose mit Zooxanthellen, das sind Mikroalgen. Die scheinbare Farbe der Korallen ist in Wahrheit die Farbe der Algen. Unter Stress wird diese Symbiose aufgegeben, die Korallen stoßen die Algen ab. Vermutlich deshalb, weil die Algen unter Stress, z.B. bei erhöhten Wassertemperaturen, Giftstoffe erzeugen. Deshalb „will“ die Koralle die natürlich loswerden, stößt sie ab und wird dadurch farblos. Denn die Korallen sind Nesseltiere, verwandt mit Quallen und ebenso transparent. Ohne Alge sieht man keine Koralle mehr, sondern nur noch das durchsichtige Gewebe und darunter das strahlend weiße Kalkskelett.

Great Barrier Reef (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Great Barrier Reef

Andererseits braucht die Koralle doch die Algen – wie lange kann sie ohne sie überleben?

Ungefähr eine Woche. Im günstigen Fall lässt sie sich wieder besiedeln, entweder über ein paar Zooxanthellen, die im Gewebe übrig geblieben sind und sich vermehren. Oder sie nimmt neue Zooxanthellen aus dem Meerwasser auf. Das muss allerdings in einem relativ kurzen Zeitraum geschehen. Wenn nach höchstens vier Wochen die Symbiose nicht wieder hergestellt ist, ist die Physiologie der Koralle derart gestört, dass sie einfach abstirbt.

Wenn Korallen sterben, geht dann zwangsläufig das ganze Riff zugrunde?

Eine bestimmte Absterbe-Rate ist für ein gesundes Riff durchaus tragbar. Ich betone „gesund“, weil es nur noch wenige gesunde Riffe gibt, besonders in Gebieten, wo Menschen leben. Aber ein gesundes Riff kann wie ein gesunder Wald einen bestimmten Verlust an Arten und Organismen abpuffern. Das wird einfach wiederbesiedelt. Wenn der Verlust jedoch zu groß wird, dann kann es kann das gesamte Riff verschwinden.

Wodurch verschwindet es? Es ist ja harter Kalk.

Auch harter Kalk kann erodiert werden, etwa durch Wellenschlag. Hurricanes zerschlagen relativ viel Kalk; aber auch Organismen nagen am Kalk oder bohren ihn an, um an Nahrung oder an Wohnraum zu gelangen. Das ist die sogenannte Bio-Erosion, also eine Erosion durch Organismen. Die kann ganz enorm sein, und das kann relativ schnell gehen.

Sie sind nicht nur Korallenforscher an der FU Berlin, sondern auch Vorsitzender von "Reef Check", einem internationalen Verein, dessen Mitglieder den Zustand der Korallenriffe weltweit beobachten, darunter viele Taucher. Ist das eine Art "Citizen Science", um Daten über das Korallensterben zu gewinnen?

Ja, wir koordinieren das hier für Deutschland seit 1997. Ziel ist, einen Gesamtüberblick über den Zustand der Korallenriffe auf der Welt zu bekommen – und dabei eine Methode zu verwenden. Es ist erstaunlich, dass das so spät passiert ist. Man hatte bis dahin zwar sehr gute Informationen z.B. manche Riffe in Australien; auch die Karibik war relativ gut untersucht von amerikanischen Wissenschaftlern, das Rote Meer von deutschen Wissenschaftlern, aber es gab immer nur Einzelbeobachtungen, und die Methoden waren nicht vergleichbar. Die Idee von Reef Check ist, über die Einbindung von Hobby-Tauchern weltweit, ein einheitliches Bild über den Zustand der Riffe zu bekommen.

Taucher helfen der Wissenschaft…

Ja, die Daten stehen frei zur Verfügung. Die können übers Internet abgerufen werden oder über Anfrage an die zentrale Datensammelstelle, die in Los Angeles sitzt. Sie werden auch für internationale Berichte an die UN und für wissenschaftliche Publikationen genutzt.

Sind Sie selbst hier auch tauchend aktiv?

Ja, aus Deutschland machen wir das hauptsächlich im Roten Meer. Früher teilweise auch in den Malediven und Myanmar. Wir haben hauptsächlich mit Tauchbasen zusammengearbeitet, also freiwilligen Sporttauchern, die sich in ihrem Urlaub sozusagen einen Meeresbiologie-Kurs mit Anwendung gegönnt haben. Da ist natürlich mit Arbeit und Aufwand verbunden, aber die Leute lernen dabei sehr viel, und den meisten macht das immer sehr viel Spaß. Wichtig ist: "Reef Check" hat von Anfang an viel Wert darauf gelegt, dass die Qualität der Daten kontrolliert wird – wir müssen sicher stellen, dass wir uns auf sie verlassen können.

Der andere Faktor, der eine Rolle spielt, ist die globale Erwärmung, d.h. unabhängig von El Niño oder La Nina wird das Ozeanwasser tendenziell wärmer. Ist denn denkbar, dass sich die Korallen evolutionär an wärmeres Wasser anpassen? Im Persischen Golf soll es ja schon Arten geben, die warmes Wasser besser tolerieren.

Ja, die Natur hat sich immer angepasst an verschiedene Umweltbedingungen – ob es wärmer oder kälter wurde. Das dauert allerdings. Und Korallen, die an warmes oder sehr warmes Wasser angepasst sind, sind teilweise nicht so produktiv wie andere Korallen. Man hat mit Experimenten herausgefunden, dass Korallen, auch wenn sie sich an wärmeres Wasser anpassen, ihr Skelettwachstum um etwa bis zu einem Drittel reduzieren und auch ihre Reproduktionsrate zurück geht. Die Riffe wachsen dann langsamer.

Wir beobachten seit mindestens den 1990er-Jahren eine enorme Erhöhung der Wassertemperaturen in Riffgebieten. Wir wollen mit Reef Check auch helfen heraus zu finden, wie weit sich die Korallen schon angepasst haben, auch die Korallengemeinschaften insgesamt. Und sind es die Korallen  selbst, die sich anpassen oder die Algen? Das wollen wir in den nächsten Jahren heraus finden – auch wieder nach der "Reef Check"-Methode. Wir wollen an mindestens 100 Stellen, besser mehr untersuchen, welche Korallen welche Zooxanthellen eingebaut haben. Und wenn wir das über die nächsten Jahre und Jahrzehnte machen, können wir sehen, ob diese Anpassung wirklich stattfindet und beobachtbar ist. Das wird sehr interessant werden.

Werden Korallen, statt sich an wärmeres Wasser anzupassen - auch polwärts wandern, in kühlere Gefilde?

Auch das passiert. Gerade im Great Barrier Reef sieht man schon ein bisschen von so einer Migration Richtung Süden, also polwärts. Aber diese Migration hat Grenzen. Südlich von Australien kommt nur noch die Antarktis. Die heutigen tropischen Korallen wachsen aber in Flachwasser, die brauchen Licht. Und südlich von Australien gibt es keine Flachwasserbereiche mehr, wo sie wachsen könnten. Das gleiche im Indischen Ozean. Da sind die Riffe schon im Norden angestoßen. Ähnlich die Korallen im Roten Meer. Und auch im Pazifik können sie nicht endlos nach Norden ausweichen. Nördlich von Hawaii oder Japan gibt es nicht mehr viel Untergrund, den sie überhaupt besiedeln könnten.

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Gábor Paál im Gespräch mit Georg Heiss, FU Berlin.