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Atomkraft trotz Fukushima – Japan 10 Jahre nach der Reaktorkatastrophe

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AUTOR/IN
Kathrin Erdmann
ONLINEFASSUNG
Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Seebeben, Tsunami und drei Kernschmelzen: Am 11. März 2011 schaute die Welt nach Japan. Die Region Fukushima setzt heute wie keine andere in Japan auf erneuerbare Energien, doch nur wenige Menschen sind bisher in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Und die Politik setzt weiterhin auf Atomkraft.

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600 Tepco-Arbeiter entsorgen in Fukushima noch immer kontaminierten Müll

Wer mit dem Auto in Fukushima unterwegs ist, wird sich garantiert mindestens einmal verfahren. So viele Straßen sind neu entstanden, dass die Navigationsgeräte kaum hinterherkommen. Zu den Orten, in denen erst in den letzten beiden Jahren überhaupt Teile freigegeben wurden, gehört Okuma, rund sieben Kilometer südwestlich vom Atomkraftwerk Fukushima Daichii.

Großes Alkoholangebot im Supermarkt von Okuma – ein Zeichen für viele männliche Singles unter den Einwohnern (Foto: SWR, Kathrin Erdmann / ARD Studio Tokyo)
Großes Alkoholangebot im Supermarkt von Okuma – ein Zeichen für viele männliche Singles unter den Einwohnern

Im Supermarkt sind hier die Regale vor allem mit zwei Dingen gut gefüllt: Alkohol und Instant-Suppennudeln. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass in Okuma vor allem männliche Singles leben.

Auch die große Auswahl an Tütensuppen lässt darauf schließen, dass in Okuma wenig Zeit bleibt für aufwendiges Kochen (Foto: SWR, Kathrin Erdmann / ARD Studio Tokyo)
Auch die große Auswahl an Tütensuppen lässt darauf schließen, dass in Okuma wenig Zeit bleibt für aufwendiges Kochen

Konkret sind das 600 Arbeiter von Tepco, die den kontaminierten Müll entsorgen. Insgesamt leben in ganz Okuma nicht einmal 1.000 Menschen. Vor der Katastrophe waren es zehn Mal so viele Menschen.

Säcke mit kontaminiertem Müll in Fukushima (Foto: SWR, Kathrin Erdmann / ARD Studio Tokyo)
Säcke mit kontaminiertem Müll in Fukushima

Skepsis in Bezug auf Lebensmittelsicherheit

Immer noch sind die Vorbehalte innerhalb der japanischen Bevölkerung gegenüber Lebensmitteln aus Fukushima groß, obwohl Japan inzwischen Produkte fast überallhin exportieren darf. Georg Steinhauser ist Professor für Radioökologie an der Leibniz Universität Hannover. Lebensmittelsicherheit in Fukushima ist eines seiner Spezialgebiete, er sieht den Verzehr von Produkten aus Fukushima als völlig unproblematisch an. Die Lebensmittelsicherheit in Japan habe einen Standard erreicht, den es weltweit wahrscheinlich kein zweites Mal gibt.

Doch die Fakten sind das eine, das andere das Misstrauen gegenüber der Regierung und dem Energiebetreiber Tepco und anderen aus der Branche. Die Wahrheit wurde manches Mal erst auf öffentlichen Druck hin bekannt, immer wieder kamen Bestechungsskandale ans Licht. Fukushima wiederzubeleben ist da doppelt schwer. Die Regierung pumpt deshalb Milliarden in die Region. Ab diesem Frühjahr zahlt sie Umzugswilligen Prämien von bis zu 16.000 Euro.

Von der Kornkammer zum Vorreiter bei Spitzentechnologie

Die Regierung setzt auf Spitzentechnologie, damit Fukushima zu dem wird, was der Name bedeutet: „Glücksinsel“ oder „Insel der Freude“. Für Takahide Matsuura ist die Region das bereits. Er hat hier auf dem Roboter-Testfeld beste Bedingungen für seine Firma Terra Labo vorgefunden. Als das Roboter-Testfeld 2018 eröffnet wurde, war es das erste weltweit mit einem Drohnen-Testgelände und ist bis heute eine der größten Entwicklungsbasen. Doch kann Fukushima von Firmen wie Terra Labo langfristig profitieren? Schließlich haben sie ihren Sitz in anderen Regionen und die Mitarbeiter kommen nur zum Arbeiten her.

Flugdrohne der Firma Labo. Das Unternehmen findet auf dem Testgelände ausgezeichnete Bedingungen vor, aber ob sich Spitzentechnologie langfristig in der Region hält, ist noch unklar. (Foto: SWR, Kathrin Erdmann / ARD Studio Tokyo)
Flugdrohne der Firma Labo. Das Unternehmen findet auf dem Testgelände ausgezeichnete Bedingungen vor, aber ob sich Spitzentechnologie langfristig in der Region hält, ist noch unklar.

Ähnlich ist die Situation beim Fukushima Hydrogen Energy Research Field. Auf einer Fläche von 22 Hektar wird dort zur Wasserstoffproduktion geforscht. Fünf Unternehmen haben sich unter dem Dach der staatlichen Organisation für Forschungs- und Entwicklungsprojekte, kurz NEDO, zusammengeschlossen. Alles ist streng geheim, die Anlage darf nur von außen besichtigt werden.

Wasserstoff-Forschungszentrum in Fukushima (Foto: SWR, Kathrin Erdmann / ARD Studio Tokyo)
Wasserstoff-Forschungszentrum in Fukushima

Olympische Spiele 2021 sollen im Zeichen des Wasserstoffs stehen

Die Anlage gilt als Leuchtturmprojekt, auch weil sie mit Solarstrom betrieben wird. Sie passt gut zu den Klimazielen Fukushimas, denn bis 2040 soll sämtliche Energie erneuerbar gewonnen werden. Der Ausbau des Wasserstoffs ist eines der zentralen Ziele der japanischen Regierung. Sie fördert unter anderem seinen Ausbau in den kommenden zehn Jahren mit knapp 16 Milliarden Euro.

Noch sei das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber Wasserstoff sehr groß, so der Generaldirektor von NEDO. Interessant ist: Wie beim Robotertestgelände geht es auch beim Wasserstoffzentrum momentan weniger darum, Arbeitsplätze zu schaffen und Menschen dauerhaft an die Region zu binden. Vielmehr müsse das angekratzte Image Fukushimas aufpoliert und das Bild der Reaktorkatastrophe durch etwas Neues, Fortschrittliches ersetzt werden. Dabei sollen im Sommer 2021 die Olympischen Spiele helfen. Sie sollen im Zeichen des Wasserstoffs stehen.

Die Mehrheit in Japan ist gegen die Olympischen Spiele und gegen Atomkraft

Die Olympischen Spiele, so wird die japanische Regierung nicht müde zu betonen, sollen ein Zeichen für den gelungenen Wiederaufbau 10 Jahre nach der Katastrophe sein. In der japanischen Bevölkerung gibt es große Vorbehalte gegenüber der Veranstaltung, eine Mehrheit ist gegen die Austragung der Spiele. Ebenso wie gegen die Fortführung der Atomkraft. Dennoch wird sie mit aller Macht vorangetrieben. Kürzlich gab der Gouverneur einer der am schlimmsten vom Tsunami betroffenen Regionen grünes Licht für das Wiederanfahren eines Atomkraftwerks.

Japan hat viel geschafft in den 10 Jahren seit dem 11. März 2011, aber eines hat sich nicht geändert: Was die Bevölkerung will, interessiert die Regierung wenig. Sie macht einfach weiter wie immer. Das frustriert die Menschen. Da von einer Auferstehung Japans zu sprechen, ist zu hoch gegriffen.

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