Heimwerker, die ältere Häuser selbst renovieren, sind gefährdet
Sie schlagen Eternitplatten vom Dach ihres Holzschuppens ab, sie nehmen Radiatoren von der Wand, die mit Asbestfasern isoliert sind oder sie versuchen Kacheln von der Wand zu entfernen, die mit asbesthaltigem Kleber angeklebt sind. Sie atmen also die Asbestfasern ein, ohne es zu wissen und können sich deshalb auch nicht dagegen schützen. Deshalb gehen Arbeitsmediziner davon aus, dass die Zahl der Asbesterkrankungen, die sich die Menschen in ihrer Freizeit zuziehen, zunimmt.

Freizeit-Renovierer wissen nicht, wo überall Asbestfasern drin stecken
So lauern auch in den Böden, die nach dem Zweiten Weltkrieg in sehr vielen Häusern verlegt wurden, oft Asbestfasern. Das zeigen Analysen des TÜV Süd. Die Böden sind oft mit Linoleum, PVC oder Rollenware, die Fliesen simuliert, beklebt. Meist mit einer Art schwarzem Kleber. Dieser Kleber ist zu einem Großteil mit Asbest belastet.
Nur Speziallabore können feststellen, ob Asbest in solchen Baustoffen steckt
So lange die Asbestfasern fest gebunden sind, schaden sie niemandem. Gefährlich wird es, wenn die Asbestfasern frei werden - wenn zum Beispiel ein Bad saniert oder ein alter PVC-Boden ersetzt wird. Wenn eine solche Maßnahme ansteht und ein Haus älter ist als 1993, sollten Eigentümer sicherheitshalber die Baustoffe testen lassen. Dazu genügt es, eine kleine Probe des verdächtigen Materials zu entnehmen.
Dabei muss man unbedingt eine Atemschutzmaske tragen und die bearbeitete Oberfläche befeuchten. Die Probe schickt der Hausbesitzer dann in einem kleinen Plastikbeutel zum Beispiel zum Speziallabor des TÜV Süd. Eine Laboranalyse kostet rund 200 Euro. Ist der Baustoff asbestbelastet, dann heißt es für Heimwerker: Finger weg. Dann müssen Spezialisten ran.

Eine Asbestsanierung ist sehr aufwändig und teuer
Zum Schutz vor Asbeststaub werden die Räume komplett abgedichtet. Kein Asbeststaub darf dabei nach draußen gelangen. Dann wird das Material staubdicht in spezielle Gewebesäcke verpackt. Das Material wird gereinigt, zugedeckt und nach der Freimessung ausgeschleust. Mit der sogenannten Freimessung überprüfen die Spezialisten, ob noch Asbestfasern auf den Flächen oder in der Raumluft zu finden sind. Sie erfolgt ganz am Schluss, nachdem alle Flächen abgesaugt, gewischt und mit einem Bindemittel besprüht worden sind. Auch die Luft muss zuvor mehrere Tage lang gefiltert werden. Erst wenn Fachleute eines unabhängigen Instituts dann keine Asbestfasern mehr finden, werden die Räume wieder frei gegeben.
Noch immer schlummern viele asbesthaltige Materialien in unseren Häusern und Wohnungen
Asbesthaltige Fassaden- und Dachplatten, alte Bodenbeläge, asbestummantelte Heizrohre, Nachtspeicheröfen: Experten schätzen, dass noch 90 Prozent des verbauten Asbests in Wohnungen und Häusern schlummern. So lange das so bleibt, besteht keine Gefahr. Selbst wer Jahre lang in einem asbestbelasteten Bürogebäude gearbeitet hat, wird davon nicht krank. Gefährlich wird es erst dann, wenn renoviert oder saniert werden muss. Und das wird zum Beispiel irgendwann bei den 70.000 Wohneinheiten der Fall sein, die allein in Berlin belastet sein sollen, wie der dortige Mieterverein schätzt.
Keiner weiß, wie groß die Asbestbelastung von Gebäuden in Deutschland wirklich ist
Hier besteht dringender Aufklärungsbedarf. Das hat auch der sogenannte Nationale Asbestdialog festgestellt, den das Bundesministerium für Arbeit und das Bauministerium Ende 2016 initiiert haben. Konkrete Maßnahmen stehen allerdings noch nicht fest. Sorgen bereitet den Behörden, dass trotz des Verbots nach wie vor asbesthaltige Produkte gehandelt werden.
Immer noch werden asbesthaltige Produkte übers Internet nach Deutschland verkauft
Am häufigsten sogenannte Katalytöfen aus DDR-Produktion, die auch als Zeltwärmer bezeichnet werden, in Wahrheit aber Asbestschleudern sind. Rund 200 Mal im Jahr beanstandet in Deutschland die Gewerbeaufsicht solche Angebote, vor allem im Internethandel. Wahrscheinlich ist das nur die Spitze des Eisbergs. Auch das trägt dazu bei, dass die Zahl der asbestbedingten Krankheiten bei uns noch lange nicht zurückgehen wird.
Weltweit wird Asbest in großen Mengen abgebaut und verbaut
Vor allem in Russland, Kasachstan, China und Brasilien. In Kanada sind die letzten Asbestminen erst 2011 geschlossen worden.

Und vor allem in Asien führt der Bauboom dazu, dass nach wie vor Millionen von Tonnen Asbest pro Jahr verwendet werden. Die Asbestindustrie ist eine gigantische Lobby. In vielen Ländern verbreitet sie immer noch fälschlich, Weißasbest könne sicher und problemlos eingesetzt werden. So fehlt gerade in den Schwellenländern weitgehend das Bewusstsein für die Asbestgefahr. Oft wird Asbest nach wie vor als Wundermaterial gehandelt, weil das Material nicht riecht, nicht strahlt, hitze- und kältebeständig und absolut unvergänglich ist.
Asbest kann Jahrzehnte in der Lunge und den Nachbargeweben bleiben
Tatsächlich ist Asbest ein Naturstoff, genauer: ein Mineral. Betrachtet man ihn unter dem Mikroskop, sieht man lange, stängelige Fasern. Wie Haare sehen sie aus, aber sie sind so fein, dass man sie einatmen kann. Dabei sind sie so stabil, dass sie selbst in der Lunge nicht kaputtgehen. "Unvergänglich", genau das bedeutet das griechische Wort "asbestos". Und das ist das Tückische.
Pathologin Andrea Tannapfel von der Ruhr-Universität Bochum hat nachgewiesen, dass bei manchen Patienten Asbestfasern Jahrzehnte lang in der Lunge bleiben - und in ihrem Nachbargewebe, dem Bauch- und Rippenfell. Diese Asbestkörper und -fasern verursachen dort eine lang dauernde chronische Entzündung. Sie kann dann zu einer bösartigen Tumorerkrankung führen.
Berufsgruppen wie Heizungsbauer leiden oft unter berufsbedingten Asbest-Krankheiten
Früher war in fast allen Isoliermaterialien Asbest enthalten. Heizungsbauer, die ihr Berufsleben lang mit diesen Materialien hantiert haben, leiden oft unter Asbestfolgen.

Wichtig ist in diesem Fall, dass ihre Krankheit als berufsbedingt anerkannt wird. Dann muss die Berufsgenossenschaft Leistungen übernehmen, die eine gesetzliche Krankenkasse nicht bezahlt: etwa eine längere Rehabilitation. Auch eine Umschulung kommt in Frage, wenn jemand in seinem Beruf nicht mehr arbeiten kann. Wenn das Asbestopfer stirbt, ist die Einstufung als Berufskrankheit für die Versorgung der Hinterbliebenen wichtig. Sie erhalten dann eine Rente von der Berufsgenossenschaft.
Da kommen leicht einige hunderttausend Euro pro Fall zusammen. Deswegen wird nicht selten darüber gestritten, ob jemand krank geworden ist, weil er beruflich mit Asbest zu tun hatte. Vor allem bei der Diagnose Lungenkrebs ist das oft nicht eindeutig. Denn Lungenkrebs kann auch vom Rauchen kommen oder von anderen schädlichen Substanzen am Arbeitsplatz. Dann sind Gutachter gefragt.
Lungenkrebs als Berufskrankheit anerkennen zu lassen ist schwierig
Bei Lungenkrebs kommen die Ärzte häufig zu dem Schluss, dass die Krankheit vor allem andere Ursachen hat. Aber das ist nicht realistisch, finden Selbsthilfegruppen von Patienten: Viel häufiger müsste Lungenkrebs bei Menschen, die mit Asbest gearbeitet haben, als Berufskrankheit anerkannt werden. Im Schnitt zeigten Ärzte 2017 knapp 5000 mal im Jahr der Berufsgenossenschaft an, dass bei Lungenkrebs-Patienten der Verdacht auf Asbest als Auslöser besteht. Als Berufskrankheit anerkannt wurden aber nur 700 dieser Fälle.

Experten wie der Arbeitsmediziner Xaver Bauer fordern, zur Bewertung neuere Untersuchungen heranzuziehen. Sie belegen: schon wer vier Jahre lang mit Asbest gearbeitet hat, bei dem ist eine Lungenkrebs-Erkrankung wahrscheinlich berufsbedingt. So sehen das auch die Unfallversicherungen in anderen Ländern.
Den Nachweis für berufsbedingte Asbestschäden müssen die Betroffenen selbst führen
Für die Betroffenen oder deren Hinterbliebene bleibt deshalb zurzeit nur ein Weg: die Berufsgenossenschaft vor Gericht zu verklagen. Bekommen sie Recht, dann wird eine asbestbedingte Lungenkrankheit doch als berufsbedingt anerkannt. Aber viele haben nicht die Kraft, den kräftezehrenden und oft viele Jahre dauernden Rechtsprozess zu durchschreiten. Unterstützung auf diesem Weg bieten Selbsthilfegruppen von Asbestopfern
Vermutlich gibt es eine hohe Dunkelziffer an Asbest-Geschädigten
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs stand fest, dass Asbest Krebs auslösen kann. 1971 wurde er in den USA offiziell als gefährliche Substanz eingestuft. Trotzdem ist er dort bis heute nur in einzelnen Bundesstaaten verboten. Deutschland hat die Anwendung von Asbest 1993 untersagt. Doch weil es Jahrzehnte dauert, bis ein asbestbedingter Krebs entsteht, wird die Zahl der Patienten mittelfristig noch nicht zurückgehen. Bei rund 2.000 Menschen in Deutschland wird jedes Jahr neu eine asbestbedingte Krebskrankheit festgestellt. Und nach den Statistiken ist Asbest Jahr für Jahr für etwa genauso viele Todesfälle verantwortlich. Aber das sind eben nur die offiziellen Zahlen. Arbeitsmediziner rechnen mit einer deutlich höheren Dunkelziffer.