Technik und Wahrnehmung

Wie uns Touchscreens verändern

Stand
AUTOR/IN
Felix Schledde
ONLINEFASSUNG
Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Auf dem Handy tippen, klicken und wischen – das machen unsere Hände inzwischen jeden Tag. Es gibt Forscher, die sagen: Die dauerhafte Benutzung von Touchscreens und Computertechnik könnte nicht nur unsere Hände verändern, sondern auch die Art und Weise, wie wir die Welt über unsere Hände wahrnehmen.

In den letzten Jahrhunderttausenden waren unsere Hände ein wirklich praktisches Universalwerkzeug. Zum Beispiel wenn man ein Instrument spielt. Aber nicht nur das: Wir können greifen, tasten, klettern, mit ihnen schlagen, Wasser schöpfen, Werkzeug bauen, klatschen und sogar kommunizieren. Und die Liste ließe sich noch immer weiter fortsetzen.

In allerjüngster Zeit sind allerdings ein paar neue Tätigkeiten dazu gekommen, die unsere Hände so bisher noch nicht kannten: tippen, klicken und swipen, auf Deutsch: wischen.

Wir chatten über Whatsapp und Facebook, arbeiten online, informieren uns bei Google oder sind bei Tinder auf Partnersuche. Unsere Finger sind dabei immer in Bewegung und das hinterlässt seine Spuren. Die offensichtlichste Folge: Zunehmend beschweren sich Menschen über Schädigungen der Hand, wie Dr. Frank Rühli vom Institut für Evolutionärmedizin an der Universität Zürich erklärt.

Arthrose in den Alleskönnern

Dabei kann es sich um Schmerzen handeln, oder Schwellungen, Entzündungen der Sehnen und Muskulatur. Das führt sogar langfristig zu Arthrose, also zur degenerativen Veränderung von Gelenken.

Die Evolution in verschiedenen Stufen bis zum heutigen Menschen (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Ist es möglich, dass sich unsere Hände evolutionär weiter entwickeln?

Kommt es zu diesen Schäden, weil unsere Hände anatomisch nicht auf die neuen Bewegungen ausgelegt sind? Evolutionärmediziner Rühli sieht dafür keine Anhaltspunkte. Denn evolutionstechnisch sind unsere Hände Alleskönner – im Gegensatz zum Beispiel zu Pfoten oder Hufen.

Wenn sie Schaden nehmen, dann liegt es an einer Überstrapazierung durch zu hohen Gebrauch oder an einer Veranlagung. Allerdings muss es nicht bei Handverletzungen bleiben. Gerade beim Stichwort Evolution werden immer wieder Stimmen laut, die die Frage stellen: Ist es möglich, dass sich unsere Hände evolutionär weiter entwickeln?

Ein längerer Daumen vielleicht durch ständiges Swipen?

Doch die Hand verändert sich auf lange Sicht nur dann evolutionär, wenn eine Veränderung auch einen selektiven und vor allem sexuellen Vorteil mit sich bringen würde. Ob da ein längerer Daumen bei Tinder schon ausreicht, ist äußerst fraglich.

Handy im Profil (Foto: SWR, SWR - Jens Freitag)
Unser Denken ist sehr stark von der Art und Weise beeinflusst, wie wir unsere Hände in der Welt benutzen

Aber die Veränderungen für uns und unsere Hände hören nicht auf der physischen Ebene auf. Was wir als handhabbar einschätzen, ändert auch die Welt, wie wir sie wahrnehmen - sagt Bruno Gransche, Technikphilosoph am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

Neben ihrem rein praktischen Nutzen sind die Hände für uns auch auf psychologischer Ebene wichtig. Mit ihnen manipulieren wir die Welt im wahrsten Sinne des Wortes. Das geht soweit, dass unser Denken sehr stark von der Art und Weise beeinflusst ist, wie wir unsere Hände benutzen.

An den Fingern abzählen

Das betrifft zum Beispiel allein schon das einfache Kopfrechnen. Es gibt Hinweise, dass das Zählen erheblich langsamer geht, wenn der Zahlenbereich außerhalb unserer zehn Finger liegt. Die Hände sind unser Zugang zur Welt und beeinflussen, wie wir diese wahrnehmen. Das gilt nicht nur beim Kopfrechnen, sondern auch bei allen anderen Tätigkeiten.

Ob wir etwas handhaben können oder nicht, entscheiden wir durch die Form des Gegenstands aber auch durch die Kraft, die wir mit unseren Hände aufbringen müssten, um diesen Gegenstand zu benutzen. Ein großer Stein unterscheidet sich so eindeutig von einer Kaffeetasse.

Gemeinsam haben sie allerdings, dass wir so oder so Kraft aufbringen müssen, um sie zu benutzen. Und genau das verändert sich bei modernen Smartphones und Notebooks durch eine bestimmte Technologie: Die berührungslose Interaktion verlangt ausschließlich eine sehr feinmotorische und kraftlose Art der Steuerung.

Optische Imitation

Eine Bewegung wie das Swipen wäre ohne Touchscreen erst gar nicht denkbar, aber auch Tippen und das Vergrößern und Verkleinern von Bildern findet zunehmend per Touchscreen statt. Obwohl wir diese Technologie sehr schnell annehmen, gibt es da noch immer ein Restgefühl von Verwirrung.

Denn eigentlich sind wir es gewohnt, dass sich Dinge in unserer Umwelt verändern, sobald wir sie mit unseren Händen manipulieren. Das haben auch die Technikhersteller erkannt. Darum gibt es immer noch animierte Zahlenwalzen, um die passende Uhrzeit für den Wecker auszuwählen oder automatisch verdunkelte Tasten, wenn sie gedrückt werden. Allerdings ist dies nur eine optische Imitation einer früheren tatsächlichen Handbewegung.

Menschen beschauen eine Bronze eines gigantischen Daumens. (Foto: SWR, SWR -)
Tippen, klicken, swipen – das sind für uns inzwischen ganz alltägliche Bewegungsmuster - doch was bedeutet das für die Zukunft?

Allerdings wird es nicht mehr lange dauern, bis wir uns endgültig daran gewöhnt haben unsere Umwelt durch kraftlose Berührungen zu beeinflussen. Für unsere Hände selbst ist das keine große Umstellung – sie werden in Zukunft weniger schwere Arbeit verrichten müssen, wenn viel mehr Dinge per Touchscreen gesteuert werden.

Die Welt swipen

Die größere Umstellung findet für unsere Wahrnehmung der Welt statt, sagt Gransche. Schon jetzt kann man bei manchen Kleinkindern beobachten, dass sie versuchen Buchseiten zur Seite zu wischen, anstatt zu blättern. Und vielleicht werden genau diese Kleinkinder in zehn oder zwanzig Jahren den Drang unterdrücken müssen, mit ihren Fingern weit entfernte Dinge in der analogen Welt vergrößern zu wollen, weil sie es so von ihrer Technik gewohnt sind.

Das könnte dann etwas peinlich aussehen. So wie wir schon heute, wenn wir vor einer kaputten Automatiktür stehen und versuchen durch wildes Zappeln die Sensoren auf uns aufmerksam zu machen. Diesen Tanz vor einer Tür hätte man sich vor 200 Jahren noch nicht vorstellen können.

Tippen, klicken, swipen – das sind für uns inzwischen ganz alltägliche Bewegungsmuster. So alltäglich, dass wir gar nicht bemerken, wie sie unsere Hand und, auf Dauer, unsere Wahrnehmung verändern könnten. Vielleicht sollten wir zwischendurch einfach mal wieder genauer darauf achten, was genau wir da eigentlich mit unseren Fingern tun.

Stand
AUTOR/IN
Felix Schledde
ONLINEFASSUNG
Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)