EuropaFlagge und Union-Jack (Foto: Getty Images, Thinkstock -)

Brexit und Wissenschaft

Angst vor dem Ausstieg

Stand
AUTOR/IN
Ralf Caspary
Ralf Caspary (Foto: SWR)
INTERVIEW
Horst Hippler
ONLINEFASSUNG
R. Hannes
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Großbritannien verlässt die EU. Wie der Ausstieg genau aussieht und welche Wirkungen er letztlich hat, ist unklar. Wir fragen Professor Horst Hippler, den Chef der Hochschulrektorenkonferenz, wie er mögliche Konsequenzen auf den europäischen Hochschulraum einschätzt.

Herr Hippler, Sie haben gesagt, der Brexit bedeute einen schmerzlichen Einschnitt für europäische Hochschulen, warum?

Hippler: Ja, ich denke mal, wir sind gerade dabei, eine europäische Forschungsregion und eine europäische Bildungsregion aufzubauen, und da gehörte Großbritannien bislang natürlich dazu. Und insofern ist eine Separation des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ein echter schmerzhafter Einschnitt, weil jetzt andere Regularien kommen werden, die dann politisch bestimmt und nicht mehr aus der Wissenschaft kommen werden. Gemeinsame Forschungsprojekte werden schwieriger, der Austausch von Wissenschaftlern und Studierenden wird schwieriger. Alles das ist etwas, glaube ich, was die Bildungsregion Europa nicht braucht.

Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz der Bundesrepublik (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz der Bundesrepublik

Ich bleibe beim Austausch von Studierenden. Wird Bologna durch den Brexit zum Teil zurückgenommen? Bologna diente ja dazu, einen einheitlichen Raum für die Hochschulen aufzubauen und auch den Austausch zwischen den Studenten zu erleichtern?

Nun, das hat mit Bologna gar nichts zu tun. Es hat ja auch vorher schon Austausch gegeben, ohne diesen Bologna-Prozess. Und wenn man genau hinschaut, dann haben die Briten den ja auch nicht so richtig mitgemacht.

Meinen Sie zum Beispiel mit dem Austausch solche Programme wie das Erasmus-Programm?
Zum Beispiel meine ich so ein Förderprogramm wie Erasmus, mit dem sehr viele britische Studierende nach Europa gekommen sind oder auch anderes herum, sehr viele Deutsche wiederum nach Großbritannien gegangen sind. Das wird in der Zukunft schwieriger. Die Frage ist da natürlich auch: Wenn dann auch das britische Pfund abgekoppelt sein wird vom Euro, was kann man damit in Großbritannien noch kaufen oder machen? Man hat das ja in der Schweiz gesehen, dass es dort sofort Probleme gegeben hat bei den ganzen Austauschprogrammen, einmal für Studierende, aber dann auch für exzellente Nachwuchs-Wissenschaftler.

Studenten sitzen in einem Vorlesungsraum (Foto: SWR, SWR -)

Also cirka 4400 deutsche Studierende sind mit Erasmus in Großbritannien, und umgekehrt sind 2000 Briten an deutschen Unis. Was wird konkret für sie schwieriger?

Da ist zum einen die Frage nach der Aufenthaltsgenehmigung. Dann sind da die Fragen: Brauchen sie ein Visum? Brauchen Sie kein Visum? Müssen sie sich polizeilich melden? Jetzt gibt es ja in der EU mehr oder weniger Reisefreiheit. Der Brexit macht die Sache sehr viel komplizierter. Und ich denke mal, das ist genau das, was man als Wissenschaftler oder Student nicht braucht. Man sieht das ja wiederum in der Schweiz. Und die Frage ist, ob Großbritannien auch weiterhin so an der ganzen Fördereinrichtung beteiligt sein kann oder nicht. Das hängt dann davon ab, wie die Verhandlungen mit der EU laufen. Und man hat gesehen, dass der Beschluss in der Schweiz die internationale Mobilität beschränkt und dazu geführt hat, dass die Schweiz plötzlich große Schwierigkeiten bekam, an den europäischen Forschungsprogramm weiter teilzunehmen, auch wenn man die bezahlen wollte.

Sie haben es eben auch angedeutet: Forschung bedeutet heute, nicht mehr allein im Kämmerchen zu sitzen, sondern das findet fast nur noch, gerade bei den Naturwissenschaften, im internationalen Austausch statt. Was wird für die Wissenschaftler schwieriger werden?
Hier ist die Frage: Was passiert tatsächlich mit Wissenschaftlern, deutschen Wissenschaftlern oder europäischen Wissenschaftlern, die in Großbritannien tätig sind. Das sind ja eine ganze Menge. Müssen sie jetzt Aufenthaltsgenehmigungen haben oder müssen sie die britische Staatsbürgerschaft annehmen, damit sie überhaupt da bleiben können? All das wird ja relativ kompliziert. Und eigentlich sind das Fragen, die für die Wissenschaftler nicht interessant sein sollten. Für die ist viel interessanter: Was macht mein wissenschaftliches Problem? Wie kann ich das lösen? Und alles, was von außen den Austausch schwieriger oder unsicherer macht, führt dazu, dass die wissenschaftlichen Dinge, die Forschung, nicht mehr so gut laufen werden, wie sie vorher gelaufen sind.

Nach einem Artikel der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaften" beziehen die Universitäten im Vereinigten Königreich 16 Prozent ihrer Forschungsförderung und 15 Prozent ihres Personals von der EU. Würde das wegfallen?
Das kommt darauf an, wie die Verhandlungen laufen. Ich meine, nach dem Brexit müsste Großbritannien auch weiterhin bezahlen. Aber man kann natürlich auch darüber nachdenken, ob diese Gelder, die jetzt sozusagen direkt über Brüssel an die Forschung oder an die Wissenschaftler gehen, nicht direkt aus London kommen könnten. Aber das sehe ich als problematisch an, zumal diese Gelder ja in einem kompetitiven Verfahren vergeben werden auf Basis eines internationalen Wettbewerbs. Und der würde durch den Weg über London eingeschränkt. Und das halte ich für die Qualität der Wissenschaft nicht für förderlich.

Wobei man nochmal sagen muss: Es ist noch nicht alles geregelt und es könnten sich vielleicht im Rahmen des Brexit doch noch irgendwie sinnvolle Regelungen ergeben?

Also es ist noch gar nichts geregelt. Aber man macht sich natürlich doch viele Gedanken. Großbritannien hat ja noch nicht einmal einen Antrag gestellt. Im Moment sieht es so aus, als müsste man sich dort erst mal sortieren. Auf der anderen Seite ist eine Hängepartie auch nicht wirklich zukunftsweisend. Und es muss relativ schnell eine Lösung gefunden werden, damit man wieder nachhaltig planen kann. Ich denke, ganz wichtig ist, dass es in der Zukunft gesonderte Verhandlungen gibt mit den Förderinstitutionen, mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der entsprechenden Organisation in Großbritannien.

Aber wenn sich gerade alle sortieren müssen, ist das ja auch die Chance für Menschen wie Sie, die Einfluss haben, auch noch mal einigen EU-Politikern ins Gewissen zu reden, oder Politikern in Großbritannien?

Naja. Ich glaube, die Wissenschaft steht geschlossen dafür, dass Großbritannien ein Teil des forschenden Europas ist und auch bleiben soll und muss. Die Frage ist nur, wie wird das von der Politik dann auch umgesetzt. Die hohe Qualität wissenschaftlicher Forschung und Lehre basierte bisher auf der guten Zusammenarbeit von England und Deutschland. Das darf man nicht aufgeben.