Adipositas

Ursachen und Therapien von Übergewicht

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Ulrike Till
Portraitbild von Ulrike Till, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Jochen Krumpe)
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Fragen an Medizinredakteurin Ulrike Till

Fast jeder vierte Erwachsene in Deutschland ist fettleibig, hat ein ausgeprägtes Übergewicht. Ärzte nennen das Adipositas und warnen vor gesundheitlichen Risiken. Auf ihrem Jahreskongress berät die Deutsche Adipositasgesellschaft über Behandlungsstrategien und neue Erkenntnisse zu den Ursachen der Fettleibigkeit.

Was weiß man jetzt Neues zur Entstehung von Adipositas?

Forscher aus Lübeck konnten vor ein paar Monaten zeigen, dass bei stark übergewichtigen Menschen die Energiegewinnung im Gehirn gestört ist. Das heißt, selbst wenn sie viel Glukose, also Zucker zu sich nehmen, kann das Gehirn die Extra-Energie kaum nutzen. Dieses stets hungrige Gehirn erklärt vermutlich, warum Menschen mit Adipositas sich auch selten richtig satt fühlen. Deshalb essen sie immer weiter. Woher diese neurobiologische Störung kommt, ist noch unklar – vermutlich spielen die Gene dabei eine wichtige Rolle.

Welche Prozesse oder Vorgänge im Gehirn für die Seelenblindheit verantwortlich sind, ist noch nicht völlig geklärt (Foto: Colourbox, Colourbox -)
Bei stark übergewichtigen Menschen ist möglicherweise der Energiehaushalt im Gehirn gestört

Heißt das, Adipositas ist letztlich Schicksal, Betroffene brauchen gar nicht erst versuchen, abzunehmen?

Nein, das heißt es nicht – obwohl eine Diät Menschen mit einer Anlage für Fettleibigkeit schwerfällt und der Erfolg oft nicht lange anhält. Am ehesten scheint es mit professioneller psychologischer Hilfe zu klappen, zum Beispiel mit einer Verhaltenstherapie: Übergewichtige können so lernen, ihr Sättigungsgefühl besser wahrzunehmen. Die Lübecker Forscher untersuchen das gerade in einer Studie.

Außerdem könnten Übungen zur Impulskontrolle einigen Übergewichtigen helfen – das vermuten Wissenschaftler schon länger, aber es gibt noch keine etablierten Trainingsprogramme. Wieviel sich mit psychologischer Unterstützung auf lange Sicht erreichen lässt, ist allerdings umstritten – viele Adipositasexperten versichern, dass bei ausgeprägter Fettleibigkeit auf Dauer nur eine Operation helfen kann.

Der schwierige Kampf gegen die Pfunde (Foto: Colourbox, Model Foto: Colourbox.de -)
Der schwierige Kampf gegen die Pfunde

Und das hat dann wirklich Erfolg, extrem Übergewichtige werden wieder schlank?

Ganz dünn sind danach die wenigsten, aber darum geht es auch gar nicht. Viele verlieren durch Magenverkleinerung oder Magenbypass im Schnitt rund ein Drittel ihres Körpergewichts – dadurch sinkt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall um rund 30 Prozent, die Lebenserwartung steigt. Das hat eine große schwedische Studie gezeigt.

Als besonders effektiv gilt der Magenbypass: der Eingriff ist aufwendiger, weil zusätzlich zur Magenverkleinerung auch noch der Dünndarm verkürzt und mit dem Mini-Magen verbunden wird. Dabei wird der Zwölffingerdarm stillgelegt - das verbessert prompt die Hormonaktivität im Magen-Darm-Trakt, deshalb brauchen Typ2-Diabetiker nach einem Magenbypass in der Regel auch kaum noch Medikamente; bei manchen verschwindet die Zuckerkrankheit sogar ganz.

Das klingt jetzt rundum positiv, aber wie sieht es mit den Risiken aus?

Ganz klar, das sind große und keineswegs harmlose Operationen – es kann während des Eingriffs Probleme mit der Narkose oder durch Blutungen geben; außerdem gibt es Langzeitrisiken: Die Gefahr von Gallensteinen und Magenschmerzen steigt. Und wenn die Narben an Darm und Magen sich irgendwann öffnen, kann das lebensgefährlich sein.

Außerdem kann der Körper nach einer Magenverkleinerung über die normale Nahrung nicht mehr genug Vitamine und Nährstoffe aufnehmen, das muss man mit Tabletten ausgleichen. Aber wer lange Jahre einen Body-Mass-Index von 40 hat, lebt im Schnitt 10 bis 15 Jahre kürzer als Normalgewichtige; auch Krebserkrankungen und Alzheimer treten häufiger auf. Diese Risiken müssen Ärzte und Patienten gegen die OP-Risiken abwiegen.

Eine Operation ist ja immer nur der letzte Ausweg – lässt sich Übergewicht denn irgendwann auch mit Medikamenten erfolgreich bremsen?

Eine wirksame, verträgliche Schlankheitspille ist sowas wie der heilige Gral der Adipositasforschung. Es gibt zwar neu zugelassene Mittel, aber die wirken längst nicht bei jedem, außerdem sind die Nebenwirkungen zum Teil gravierend: das reicht von Durchfall über Herzrasen bis zu Nierenversagen. Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums und der TU München verfolgen jetzt aber eine vielversprechende neue Spur: Sie haben bei Mäusen erfolgreich eine Kombitherapie gegen Übergewicht und Diabetes getestet und gerade in „Nature Communications“ vorgestellt.

Der erste Wirkstoff ist das Molekül „Icilin“ – das ahmt die Wirkung brauner Fettzellen nach, die bei Kälte besonders viel Energie verbrauchen. Als zweites setzen die Forscher auf DMPP – das nutzt im Gehirn dieselben Andockstellen wie Nikotin und zügelt den Appetit. Bei Mäusen hat die Kombipille bestens funktioniert – ob der Ansatz auch beim Menschen klappt, kann aber noch keiner sagen; da ist erstmal noch ganz viel weitere Forschung nötig.