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Artenschutz durch Gentechnik? Wissenschaftler manipulieren die Natur

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Michael Lange
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Ulrike Barwanietz & Ralf Kölbel

Unerwünschte Tierarten ausmerzen, bedrohte Arten retten, ausgestorbene auferstehen lassen – diese Hoffnung setzen manche Forscher in die Gentechnik. Doch die Risiken sind kaum absehbar.

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Die Zahl der biologischen Arten sinkt dramatisch, Wissenschaftler sprechen von einem Massenaussterben. Mithilfe der "Synthetischen Biologie" wollen Ökologen gefährdete Arten retten. Sie planen, invasive Nagetiere wie Mäuse oder Ratten auf pazifischen Inseln auszurotten, weil diese dort heimische Tiere und Pflanzen bedrohen.

Andere Forscher wollen die genetische Vielfalt gefährdeter Arten wie Nashorn oder Gepard künstlich erhöhen, um sie vor dem Aussterben zu bewahren. Sogar das Mammut könnte im Labor wiederauferstehen. Kritiker warnen vor einer unkontrollierbaren Ausbreitung der Gentechnik in der Natur.

Genveränderte Mäuse

Mit Gentechnik verändert der Mensch das Erbgut von Lebewesen und entscheidet, welche Arten überleben dürfen und welche nicht. So ließen sich möglicherweise auch invasive Arten auf abgelegenen Inseln bekämpfen. Die Methode dafür nennt sich Gene Drive: damit lassen sich gentechnische Veränderungen schnell in einer Population verbreiten. Der Gen-Antrieb richtet sich gegen schädliche Organismen. Arten, die Krankheiten übertragen oder andere Arten gefährden, sollen damit bekämpft oder ausgerottet werden.

Die internationale Naturschutzorganisation Island Conservation hat dafür einige unbewohnte Inseln im Pazifik ausgewählt. Dort könnten genmanipulierte Mäuse ausgesetzt werden und ihre Gene verbreiten. Da die Genveränderung die Mäuse unfruchtbar machen soll, könnten die Inseln so irgendwann von Mäusen befreit sein. Die Idee birgt allerdings auch Risiken.

Freilandexperimente ohne Kontrolle

Dr. Margret Engelhard mahnt zur Vorsicht bei solchen unkontrollierbaren Freilandexperimenten. Sie ist beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn zuständig für Gentechnik und ihre Folgen.

Darf der Mensch so massiv in die Natur eingreifen, dass er ganze Arten ausrottet und sich Gentechnik dabei ungebremst verbreitet? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Schutz von Arten

Mit Gentechnik lassen sich aber nicht nur unerwünschte Arten vernichten. Man kann damit auch Arten unterstützen, die vom Aussterben bedroht sind. Hier kann der Mensch nachhelfen. Und er macht es auch schon. Allerdings ohne Gentechnik.

Im Frankfurter Zoo befassen sich Zoologen traditionell mit den bedrohten Großtierarten Afrikas. Das gilt auch für die Zoologische Gesellschaft, die vom ehemaligen Zoodirektor Bernhard Grzimek gegründet wurde.

Diese Organisation befasst sich mit dem Schutz der Nashörner. Mangelnde genetische Vielfalt sei für diese Tiere ein großes Problem, erläutert Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt.

Letztes Breitmaulnashorn

Als im März 2018 der letzte nördliche Breitmaul-Nashornbulle „Sudan“ im Alter von 45 Jahren in Kenia eingeschläfert werden musste, ging die Meldung von seinem Tod um die ganze Welt. Nach seinem Tod blieben nur noch zwei weibliche Nashörner übrig. Durch künstliche Befruchtung mit eingefrorenem Sperma des Nashornbullen versuchen Zoologen die Nashorn-Unterart zu retten.

Mit Hilfe der Genschere Crispr/Cas ließe sich das Erbgut der Tiere verändern: In kleinen Schritten wie bei Mutationen in der natürlichen Evolution. So könnten Forscher die genetische Vielfalt langsam erhöhen und möglicherweise eine Art retten, die vor dem Aussterben steht.

Es fehlen Resistenzgene

Helfen könnte die Gentechnik ebenfalls Tieren, die von Krankheiten bedroht sind, wie der Tasmanische Teufel, auch genannt Beutelteufel. Die Aasfresser sind etwas größer als Hauskatzen und werden bis zu 12 Kilogramm schwer.

Die letzten Tiere dieser Art leben auf der Insel Tasmanien südlich von Australien. Sie werden von einem ansteckenden Gesichtstumor geplagt. Ihr Immunsystem kann sich nicht dagegen wehren. Es fehlen Resistenz-Gene, die die Tiere schützen würden.

Doch Wissenschaftler gingen oft von der falschen Seite an die Probleme heran, kritisiert die Umweltethikerin Uta Eser vom Büro für Umweltethik in Tübingen. Die Genschere Crispr/Cas beflügle die Phantasie der Wissenschaftler, und gleichzeitig verenge sie den Blick.

Auferstehen von ausgestorbenen Arten

Die Pläne einiger Wissenschaftler gehen sogar noch weiter. Sie verändern nicht nur einzelne Gene, sondern konstruieren das Erbgut von Lebewesen neu. Arten, die bereits ausgestorben sind, könnten im Labor wieder erschaffen werden.

George Church an der Harvard Medical School in Boston hat die Genschere Crispr/Cas mitentwickelt. Mit ihr lassen sich einzelne Positionen im Erbgut indischer Elefanten so verändern, dass sie Schritt für Schritt dem Erbgut eines Wollhaarmammuts ähnlicher werden.

Es geht zum Beispiel darum, den Blutfarbstoff Hämoglobin so zu verändern, dass der Elefant besser an kalte Lebensräume angepasst ist, wie ein Mammut. Dazu muss nur ein einziges Gen verändert werden.
Auch andere typische Mammutmerkmale ließen sich gezielt erzeugen. Das Zwischenprodukt, das so entstünde, wäre zwar kein Mammut, aber ein mammutähnlicher Elefant.

Ein Mann im Labor (Foto: Getty Images, Thinkstock -)

Wird „Jurassic Park“ Realität?

In Gefriertanks lagern bereits Zellproben von zahlreichen ausgestorbenen Tieren, oder solchen, die demnächst aussterben könnten. Einige Forscher hoffen, dass diese Tiere in Zukunft durch Klonen oder Gentechnik wiederauferstehen.

Bisher sind das reine Zukunftsvisionen, die nur in kleinen Projekten erforscht werden. Die Umweltethikerin Uta Eser hält solche Pläne für absurd. Naturschutz bedeutet für sie, Lebensräume für wildlebende Tiere und Pflanzen zu erhalten und zu schützen. Dort kann sich die Natur nach ihren eigenen Gesetzen entfalten.

Dieses Idealbild vieler Naturschützer entspricht nach Ansicht von Dr. Nikolai Windbichler vom Imperial College London jedoch längst nicht mehr der Realität. Denn der Mensch ist längst zum Gestalter der Natur geworden. Unberührte Lebensräume gibt es kaum noch.

Uta Eser fragt: Wie weit darf die Gestaltung gehen? Denn der Mensch war und ist Teil der Natur. Ein besonders unberechenbarer Teil.

Produktion 2018

Argentinosaurus Dinosaurier (Foto: Colourbox, Foto: Colourbox.de - Elena Duvernay)
Argentinosaurus Dinosaurier

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