6.8.1914 / 10.1.1918

Kaiser Wilhelms Aufruf zum Krieg

Stand
AUTOR/IN
SWR2 Archivradio
MODERATOR/IN
Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Einen Monat nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo beginnt der Erste Weltkrieg. Mit der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn gegen Serbien ist auch Deutschland involviert. Am 6. August 1914 richtet Kaiser Wilhelm einen Aufruf an das deutsche Volk.

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Wir hören allerdings nicht die Originalrede, denn von der gibt es keine Aufzeichnung. Der Kaiser hat diese Rede aber dreieinhalb Jahre später, also einige Monate vor Kriegsende, nachaufgezeichnet.

Interessant dabei: Es existiert nicht nur die Rede, sondern auch die vorausgegangenen Probeaufnahmen, in denen der Kaiser geübt hat. Im Hintergrund erkennt man die Stimme des Sprachwissenschaftlers Wilhelm Doegen, der den Kaiser bei der Rede unterstützte. So hielt er ihm etwa die Hand in den Rücken, um ihm den richtigen Abstand zum Aufnahmetrichter zu zeigen. Der Kaiser setzt mehrfach an und wird jedesmal energischer.

Der Kaiser sprach von den Feinden, die dem Deutschen Reich seinen Erfolg neiden und sich nun rüsten, um es zu überfallen. Die hier vorliegende Aufnahme klingt, als ob sie direkt während der Ansprache des Kaisers aufgenommen worden wären. Tatsächlich wurde diese Aufnahme nicht zum Beginn, sondern zum Ende des Krieges erstellt. Anders als im August des Jahres 1914 gab es am Anfang des vierten Kriegsjahres jedoch wenig Anlass mehr zu kriegerischer Euphorie.

Rede am 10. Januar 1918 im Berliner Schloss Bellevue nachträglich aufgezeichnet

In der Zeit des Ersten Weltkriegs waren nur Studioaufnahmen, aber keine Liveaufnahmen möglich. Jedes Wort musste unmittelbar vor einem großen Trichter erzeugt werden, der richtige Abstand musste eingehalten werden. Ein regelmäßiger Rundfunkbetrieb in Deutschland fand erst ab 29.10.1923 statt.

Ein interessanter Aspekt: Es existiert nicht nur die Rede, sondern auch die vorausgegangenen Probeaufnahmen, in denen der Kaiser geübt hat. Darin hört man den Kaiser, wie er mehrmals ansetzt.

Sprachwissenschaftler Wilhelm Doegen unterstützt den Kaiser

Wenn man genau hinhört, erkennt man im Hintergrund noch eine zweite Stimme, die dem Kaiser "Anweisungen" gibt. Das ist der Sprachwissenschaftler Wilhelm Doegen. Der hielt dem Kaiser auch die Hand in den Rücken, um ihm den richtigen Abstand zum Aufnahmetrichter zu zeigen.

Doegen initiierte 1915 die Königlich Preußische Phonographische Kommission und hat viele wichtige Reden nachsprechen lassen. Hier ist zu hören, wie der Kaiser dreimal hintereinander ansetzt und er wird – vielleicht auf Anweisung von Doegen – jedesmal etwas energischer und emphatischer.

Aufnahmedatum: 10.1.1918 (nachgesprochen)
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv DRA

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3.5.1918 | Ernst Haeckel (1834 - 1919) war einer der einflussreichsten Naturphilosophen des 19. Jahrhunderts. Er war Mediziner, Zoologe, Philosoph und ein großer Unterstützer von Charles Darwins Evolutionstheorie. Er konnte auch ziemlich gut zeichnen. In seinem Sammelband "Kunstformen der Natur" hat er wunderbare, hochästhetische Zeichnungen von Organismen aller Art hinterlassen. Allerdings vertrat er auch die Ideologie der Rassenhygiene und der Eugenik, die später von den Nazis bereitwillig aufgenommen wurden.
Haeckel bewegte sich oft an der Grenze zwischen Wissenschaft und Philosophie. Er formulierte etwa die sogenannte biogenetische Grundregel, die im Kern besagt, dass jeder Organismus in seiner Embryonalentwicklung noch einmal die gesamte Evolution seiner Art rekapituliert. Platt gesagt: Ein menschlicher Fötus im Mutterleib durchläuft im frühen Stadium noch einmal etwa eine Fisch- und eine Amphibienphase. Eine interessante Theorie, die aber so nicht mehr haltbar ist.
Ein wenig esoterisch klingt auch ein Vortrag aus dem Jahr 1918 zum Thema "Kristallseelen". Haeckel liest aus seinem gleichnamigen Buch, das ein Jahr zuvor erschienen war. Darin wirbt er zunächst für die Idee von der Einheit der Natur – eine Ansicht, die auch der modernen Naturwissenschaft nicht fremd ist. Sie besagt im Wesentlichen, dass alle Erkenntnisse etwa über das Leben auf der Erde am Ende mit physikalischen Gesetzen im Einklang stehen müssen. Haeckel dreht dabei aber den Spieß um und erklärt, dass sich das Konzept der Seele auch auf tote Materie – wie eben Kristalle – übertragen lasse. Dabei nimmt er Bezug auf mehrere Bücher aus dem Jahr 1904, in denen andere Autoren ähnliches behaupten. | Transkript des schwer verständlichen Vortrags und mehr zum Thema: http://swr.li/haeckel-kristallseelen

4.5.1918 Psychologie-Pionier Wilhelm Wundt über das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft

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"Die Systeme der Philosophie sind, soweit sie eine bleibende Bedeutung gewonnen haben, nicht müßige Ideenverbindungen einzelner Fälle. Wohl aber sucht die Philiosophie die einzelnen Quellen, die in den Gebieten des Beckens fließen, zu einem Strom zu vereinigen, an dem man nicht den Verlauf der einzelnen Quellen zwar, wohl aber die gesamte Richtung erkennen kann, die sie alle zusammengenommen haben. Darum ist die Geschichte der Philosophie die notwendige Stellvertreterin einer allgemeinen Geschichte der Wissenschaft.
Das Bewußtsein dieser Zusammengehörigkeit von Philosophie und Wissenschaften ist der jüngst vergangenen Zeit abhandengekommen. Den Einzelgebieten gebührt dafür der geringere Vorwurf, denn Sache der Philosophie ist es, die guten Beziehungen zwischen beiden - zwischen Philosophie und Wissenschaft - aufrechtzuerhalten, indem sie den Einzelgebieten entnimmt, was sie bedarf, die Grundlage der Erfahrung, und indem sie ihnen gibt, was für sie nicht minder notwendig ist: die Erkenntnis des allgemeinen Zusammenhangs unseres Glücks." | Mehr: http://swr.li/wundt-philosophie-wissenschaft

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