21.9.1953

Zermürbung des Angeklagten

Stand

Wir bleiben beim vermutlich ersten Verhandlungstag, dem Nachmittag des 21. September 1953. Es beginnt die Zermürbung des Hauptangeklagten. Staatsanwalt Ernst Melsheimer und Richter Walter Ziegler nehmen ihn, manchmal unisono gegen ihn ansprechend, in die Zange.

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Fleischer gibt unter dem Druck nicht nur zu, Spionage begangen zu haben, sondern wird dazu aufgefordert, über die gute Behandlung während der Untersuchungshaft auszusagen. In seinen Erinnerungsnotizen beschrieb Otto Fleischer viel später das Gegenteil:

Patente waren für den Westen von Interesse

Fleischer gibt nach Beharren von Melsheimer zu, bewusst falsche Planung gemacht hat. Sagt, dass Patente keinen Verrat darstellten und er fast jedes DDR-Patent auch in München anmelden durfte. Das war üblich, um einen internationalen Patentschutz herzustellen. Er klärt den Richter und Staatsanwalt über die Funktion von Patenten auf. Die fragen, ob die Patente denn für den Westen von Interesse gewesen seien. Fleischer bejaht.

Otto Fleischer über Forschung und Lehre an der Bergakademie Freiberg

Fleischer: Habe Vorlesungsmaterial bei der Bergakademie Freiberg vorwiegend aus dem Westen besorgt. Die Sowjetunion thematisch nur am Rande gestreift. Hatte über Tiefbau aus dem Westen viel, aus der Sowjetunion kein Material. Neun Forschungsaufträge kamen, davon habe ich mehrere abgelehnt, weil mir die Hilfskräfte fehlten - angeblich. Wahrer Grund: Wollte die Ost-Forschung nicht betreiben.

Gegenüber Melsheimer: Wollte zusätzliche Besetzung des Lehrstuhls für Bergbau hinauszögern. Dann, als ich merkte, ich kann den Lehrstuhl wegen mangelnder Kenntnisse nicht alleine verwalten, leitete ich die Besetzung ein.

Sabbas war Verbindungsmann zur Bundesregierung. Ihm hat Fleischer Zahlen genannt, über Abbau von Kohle, über die Besetzung der Lehrstühle, Forschungsaufträge in der DDR. Der fragte Fleischer ihn, ob er vielleicht doch in den Westen gehen und dort als Forscher eingesetzt werden kann? Sabbas lehnt ab: Bergbau-Forschung wird heute in den Firmen gemacht, nicht in der akademischen Welt.

Fleischer setzte dann Klinkmüller auf Empfehlung von Sabbas in der Bergbauakademie Freiberg ein. Man begründete das mit "Erfahrungsaustausch". Richter Ziegler: Was hat Sabbas damit gemeint? Fleischer: "Spionage".

Fleischer: "Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen": Habe denen meinen Austritt aus der SED begründet, bin gegen nationale Streitkräfte. Die Juristen schickten das Schreiben zurück mit der Anmerkung: Nicht austreten, wäre zu gefährlich für Sie (Fleischer). Klinkmüller war der Bote für beide Briefe.
In Zusammenkünften mit Kollegen habe ich die DDR als "extremes Regime", am Stammtisch "ein einziges Zuchthaus" genannt. "Freiheit der Persönlichkeit in der DDR nicht gewährleistet", "Jeder, der seine Verantwortung ernst nimmt, landet hinter Mauern."

"Für Menschen wie Sie muss es Zuchthäuser geben!"

Ziegler, polemisch: Jeder, der Verantwortung ernst nimmt, wird in der DDR besonders gefördert! Sie haben sich von der fortschrittlichen Intelligenz getrennt. Sie haben kein Recht, solche Äußerungen zu tun. Für Menschen wie Sie muss es Zuchthäuser geben.

"Bei Stasi und Vernehmung immer korrekt behandelt"

Melsheimer wirft Akten versehentlich aufs Mikrofon. Wirkt wie ein Lehrer. Während Ihrer Tatterigkeit haben die Unfälle zugenommen? Fleischer: Kenne die Statistik nicht.
Vieles, was ich in den Westen getragen habe, waren keine Geheimnisse, war bereits hier veröffentlicht. Zum Beispiel in der Zeitschrift Bergbautechnik.
Melsheimer: Sie sind wieder gesund? Sie wollten dazu doch noch etwas sagen? Wie sind Sie in der Untersuchungshaft behandelt worden? Fleischer: Bei Stasi und Vernehmungen wurde ich immer korrekt behandelt.

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SWR