23.9.1955

Der Spion, den sie liebte | DDR-Strafprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz 1955 (3/5)

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Karl Laurenz und seine Kontakte zu Clemens Laby und Elli Barczatis

Karl Laurenz erzählt, wie man ihn wegen parteischädigenden Verhaltens aus der SED ausschloss. Nach einer Verhaftung fand er keine Arbeit. Der Richter erkundet das Verhältnis von Laurenz zur SED.

Clemens Laby lernte er als vermeintlichen Vertreter westdeutscher Bergbaumaschinen kennen. Laurenz dementiert einige Aussagen aus seiner U-Haft als Fehler. Die Folterung in U-Haft kommt nicht zur Sprache.

Auf Fragen des Richters sagt Laurenz aus, dass Elli Barczatis nur sehr widerwillig Auskunft über politische Dinge gegeben hätte.

Karl Laurenz: Jugend in Brünn, Wehrmacht, Einsatz für DDR-Häftlinge

Der Richter fordert Laurenz auf, seinen Lebenslauf zu erzählen. Laurenz spricht leise, mit böhmisch- österreichischem Akzent: „An meine Kindheit erinnere ich mich: Im Sommer keine Schuhe, im Winter kein Mantel. Und soweit es ging: Zeitungen austragen und Milch austragen. Aber ansonsten hatte ich immer satt zu essen und wurde gut gehalten. [...] Meine Mutter starb 1917, und ich bekam dann kurz darauf eine Stiefmutter, mit der ich mich nicht vertragen konnte, sodass ich es vorzog, im Sommer im Ruderverein zu schlafen und im Winter bei der Rettungsgesellschaft, bei der freiwilligen Feuerwehr.“

Er erzählt von der Zeit des Nationalsozialismus, als er schon als Jurist tätig war, von der aufstrebenden Sudetendeutschen Partei in Brünn, wo er herkommt. Der Richter weist ihn zurecht: Er müsse hier nicht politische Entwicklungen aufzeigen, sondern er solle bei seiner persönlichen Entwicklung bleiben. Laurenz besteht darauf, das gehöre zusammen.

Hitler-Kritik – und kein NSDAP-Mitglied

Die Nazis seien 1939 ins Sudetenland einmarschiert und er hätte wegen seiner primär tschechischen Ausbildung Schwierigkeiten bekommen; zudem hätte er für die Zeitung einmal einen Artikel geschrieben, in dem er Hitler als „Enfant terrible Europas“ bezeichnete. Man zeigte Laurenz bei der Gestapo an.

Er wandte sich an einen ehemaligen Schulkollegen, den Kreisleiter, um die Sache umzubiegen, indem er Laurenz einen Antrag auf Eintritt in die NSDAP gab. Das funktionierte, Laurenz zog seinen Antrag auf Parteimitgliedschaft wieder zurück. Länger als andere behielt er die tschechische Staatsbürgerschaft.

Im Zweiten Weltkrieg wurde er Unteroffizier in der Wehrmacht. Die Amerikaner nahmen ihn im Mai 1945 fest, schickten ihn nach einer Woche nach Hause, vermutlich weil er kein NSDAP-Mitglied war.

Ausschluss aus der SED und Gefängnis

Laurenz kam nach Berlin, zunächst als Jurist zur Hauptabteilung Kohle, dann als Autor zum Berliner Rundfunk, dann zum Berliner Verlag. Weil man ihn bei einem Gespräch mit Mitarbeitern bespitzelte (durch die Wand; er wehrte sich angeblich dagegen, einen „Kollektivvertrag“ anzuerkennen, der zuvor nicht mit der Belegschaft durchgesprochen war), schloss man ihn wegen parteischädigenden Verhaltens aus der SED aus.

Er bekam eine Anstellung bei einer Anwaltskanzlei in Westberlin und schmuggelte Kassiber in die Untersuchungsgefängnisse in Ostberlin. Dabei wurde er verhaftet und zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Nach der Entlassung habe er 100 Bewerbungen geschrieben, die alle abgelehnt wurden.

Verhältnis zum Sozialismus und Bekanntschaft mit Clemens Laby

Der Richter geht auf ein Detail aus Laurenz‘ Verhörprotokoll in der U-Haft am 9. März 1955 ein. Er habe da gesagt, er habe 1945 beim Aufbau des Sozialismus teilnehmen wollen, indem er in die KPD eintrat. Laurenz besteht darauf, nie in die KPD aufgenommen worden zu sein und vermutet, seine späteren Schwierigkeiten mit der SED hingen damit zusammen.

Clemens Laby lernte er bei Arbeiten über Sicherheitseinrichtungen im Bergbau kennen. Im Mai 1952 trifft er Laby, der bereits im Westen lebte, wieder, als der aus dem Haus der Ministerien kam. Die beiden ehemaligen Kollegen tranken einen Kaffee im Café Stadtgarten. Hauptgesprächsstoff war das Grubenunglück in Zwickau.

Laby gab sich als Vertreter westdeutschen Bergbaumaschinen aus, weswegen er hier sei. Er bat Laurenz, in zu unterstützen, indem er bei Behörden vorsprach. Laurenz lehnte das ab. Laby sah, dass er kein Geld hatte und unterstütze Laurenz bei diesem und späteren Treffen mit kleinen Beträgen, etwa 5 Mark.

Agent Karl Laurenz

Die Übermittlung von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen („aber nicht Militär“) Nachrichten wurde mit monatlich 400 Mark abgegolten, ohne Ablieferzwang. Laurenz war skeptisch und fragte: „Was ist das für ein Nachrichtendienst? Ein deutscher oder ein amerikanischer?“ [denn die CIA war damals in Berlin stark tätig.] „Das ist eine ausgesprochen deutsche Sache“, antwortete Schubert.

„Dass Laby Agent war, wusste ich seit 1952, nach dem ersten Treffen mit Schubert.“

Der Richter versucht, Laurenz klar zu machen, dass selbst seine vermeintlich harmlosen Berichte über Versorgungsengpässe die DDR schädigen konnten [weil der Westen dann exakt diese Waren und Ersatzteile nicht lieferte].

Laurenz erwidert, man müsse nur die DDR-Zeitung Neues Deutschland lesen, um zu sehen „was der DDR fehlt“. Er verweist auch auf den RIAS, der offen die Stimmung in der DDR zeichne. Dazu Richter Ziegler: „Der RIAS ist auch eine Spionagestelle in Westberlin.“

Gegen Ende der Vernehmung zitiert der Richter mehrere während der U-Haft erstellte Protokolle. Laurenz dementiert einige Aussagen von damals. Zu anderen sagt er: „In der Vernehmungen habe ich Fehler gemacht.“

Implizit steckt darin die Kritik an der U-Haft, in der er psychisch, vor allem durch willkürliches Wecken und Verhöre, gefoltert wurde. In dem Prozess spricht er das nicht an. In anderen, öffentlichen Prozessen aus der Zeit bedanken sich die Angeklagten sogar für die angeblich korrekte Behandlung in der U-Haft; möglicherweise riet man ihnen zu dieser aus propagandistischen Gründen wertvollen Aussage, auch wenn sie nicht stimmte, um Strafmilderung zu erreichen.

Ziegler fragt Laurenz abschließend nach seinen Motiven für die Spionage. Laurenz nennt nur eins: „Das Motiv ist nicht zu trennen von meiner Arbeitslosigkeit.“ Daraus habe sich eine „aus meiner Michael Kohlhaas-Natur entstandene Opposition gegen die Sozialistische Einheitspartei“ ergeben.

Barczatis: Spionin wider Willen?

Staatsanwalt Lindner geht mit dem Angeklagten schärfer um als der Richter. Bei einem Disput über die „Gabelsberger Kurzschrift“ etwa wirft er Laurenz vor: „Ihr Ausweichen finde ich lächerlich.“ Laurenz sagt, er habe keine Militärspionage betrieben.

Lindner: „Ist also eine andere Spionage kein Verbrechen?“ Laurenz sagt, er könne sich von keiner einzigen Meldung, die er an den Westen geliefert hätte, vorstellen, dass sie zu staatsgefährdenden Zwecken hätte eingesetzt werden können. Lindner: „Das ist wiedermal sehr demagogisch!“ Denn: „Sie sind ein sehr gerissener Spion.“

Karl Laurenz und Elli Barczatis

Der besitzende Richter Löwenthal fragt Laurenz noch einmal nach dem Verhältnis der Angeklagten, nach den Geschenken für sie, seit er so gut verdiente. Laurenz gibt zu bedenken:  „Die Barczatis hat zur Zeit meiner absoluten Mittellosigkeit sehr oft im Café für mich bezahlt.“

Auf die Frage, wie gern sie Auskunft über politische Dinge gab, meint Laurenz: „Wenn sie mir etwas sagte, tat sie das ziemlich widerwillig, nicht mit einer Mitteilungsfreude, sondern hat mir irgendeinen Brocken hingeworfen.“

Elli Barczatis meldet sich weinend zu Wort: Was sie jetzt angehört hätte, sei alles für sie neu gewesen. Richter Ziegler unterbricht sie: Sie habe nach dem Plädoyer des Staatsanwalts noch Gelegenheit, sich grundsätzlich zu äußern.

Prozess gegen Barczatis und Laurenz: Originalaufnahmen

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