Die 68er werden im Rückblick verklärt
Kritische Bilanzen zu "68" blieben im Jubiläumsjahr in der Minderzahl. Vor allem gab es in der ersten Hälfte des Jubiläumsjahres viel Verklärung:
- 68 – das sei der Start in die Fundamentalliberalisierung der Republik gewesen.
- 68 – das sei der Beginn der Befreiung der Frau gewesen.
- 68 – das sei der Start in die Aufarbeitung dunkler deutscher Geschichte gewesen.
- 68 – das sei die Distanzierung zu den kapitalistischen und bellizistischen USA gewesen.
Kollateralschäden im Bildungsbereich
Verklärung der 68er gab es vor allem im Bildungsbereich! Und wenig (selbst)kritische Bilanz! Bis heute!
Gewiss sind Schulen in Deutschland seit 1968 lebendiger, freier, sozial offener, unkomplizierter geworden. Das Verhältnis zwischen Lehrern, Eltern und Schülern hat sich entspannt; es ist nicht mehr geprägt von irgendeinem Gefälle. Per saldo aber hat die 68er-Pädagogik mehr Kollateralschaden angerichtet als Nutzen gebracht. Linke, angeblich "moderne" Pädagogik ist nämlich über den größenwahnsinnigen Versuch einer Korrektur der "irrenden" und Unterschiede produzierenden Natur kaum hinausgekommen.

Drei Verirrungen der 68er-Pädagogik:
- Verirrung Nr. 1 der 68er ist der "pädagogische" Egalitarismus. Es scheint zu gelten: Was nicht alle können, darf keiner können. Was nicht alle haben, darf keiner haben. Was nicht alle sind, darf keiner sein. Dazu gehört die nicht enden wollende Euphorie um eine "klassenlose" Einheitsschule. Gesamtschule - heute befördert zur Gemeinschaftsschule - sollte und soll zur Speerspitze "moderner" Schulpolitik werden. Deren Ansprüche wurden allerdings nie eingelöst.
- Verirrung Nr. 2 der 68er hat mit der Heiligsprechung eines Jean-Jacques Rousseau und mit seinem pädagogischen "laissez faire" zu tun. Es wirkt bis heute nach. No-Education und Spaßpädagogik heißt das heute.
- Verirrung Nr. 3 und Folge des pädagogischen Egalisierungs- und Machbarkeitswahns ist die Quotengläubigkeit der 68er. Das ist die planwirtschaftliche Vermessenheit, es müssten möglichst alle das Abitur bekommen. Wenn aber alle das Abitur haben, dann hat keiner mehr das Abitur.

Josef Kraus unterrichtete als Gymnasiallehrer und war als Schulpsychologe für den Regierungsbezirk Niederbayern zuständig. Später fungierte er als Schulleiter am Maximilian-von-Montgelas-Gymnasium in Vilsbiburg bei Landshut. Josef Kraus bekleidete verschiedene Vorstandsämter im Deutschen Philologenverband und war bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Kraus gilt als einer der schärfsten Kritiker einer leistungsfeindlichen Schulpolitik.
Weitere Bücher (Auswahl):
- Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt. Und was Eltern jetzt wissen müssen. Herbig, München 2017.
- Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013.