Eine Familie frühstückt gemeinsam (Foto: IMAGO, Imago/Fotograf XY - Imago stock&people)

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Mit leerem Bauch in den vollen Tag – Abschied vom Familienfrühstück

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Hans-Volkmar Findeisen
Hans-Volkmar Findeisen (Foto: SWR, privat)
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Lukas Meyer-Blankenburg
David Michalik

Das Familienfrühstück ist out. Jugendliche essen oft nur kurz auf Schulweg oder gar nicht. Schwächt das ihre Leistung? Einige Schulen wollen gegensteuern.

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Frühstücken hält fit, es ist gesund und fördert die Konzentration. Das galt lange Zeit. Doch seit einigen Jahren wird der Wert des Frühstücks auch wissenschaftlich hinterfragt. 2016 etwa trat der renommierte britische Biochemiker Terrence Kealey eine Diskussion um die Frage los, ob Frühstücken nicht ungesund und regelrecht gefährlich sei. „Da ist die Datenlage überhaupt nicht klar“, sagt hingegen Angela Häußler, Professorin für Gesellschaftswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Was ernährungsphysiologisch empfehlenswert sei, könne man gar nicht so genau festlegen.

Das Frühstück „to go“ nimmt zu

Das baden-württembergische Ministerium für ländlichen Raum hat bestimmte Vorstellungen von einem guten Frühstück. Seit über zwanzig Jahren touren Beraterinnen mit dem Programm Beki, bewusste Kinderernährung, durchs Land. Ernährungsberater und Diätassistenten versuchen dabei, Kinder in Kindergarten und Grundschule spielerisch und experimentell an das Thema Frühstück heranzuführen.

Aufklärung über gesundes Essen wird immer wichtiger. Denn unter Jugendlichen verliert das Frühstück an Bedeutung. Bis zu dreißig Prozent von ihnen verzichten ganz darauf. Immer mehr begnügen sich mit einem schnellen Snack auf dem Weg zur Schule. Der Ernährungspsychologe Christoph Klotter von der Hochschule Fulda beobachtet: „Früher war das Frühstück normal, und heute ist der allgemeine Trend in den Industrieländern, dass weniger gefrühstückt wird, dass weniger gemeinsam gekocht und gegessen wird, ganz eindeutig. Das Essen „to go“ mal nebenbei nimmt zu.“

Kaffee to go Becher + Kaffeebohnen (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Coffee-to-go Becher verschwinden inzwischen aus Umweltschutzgründen wieder. Der Trend zum to-go-Frühstück bleibt.

Essen als Ausdruck sozialer Identität

Das Familienfrühstück verliert auch an Bedeutung, weil immer mehr Frauen arbeiten und keine Zeit mehr dafür haben, ein frisches Essen zuzubereiten. Die Hausmänner füllen diese Lücke nicht. „Die Küche verwaist“, sagt Ernährungspsychologe Klotter. Die online am häufigsten gestellte Frage zum Frühstück ist: „Wie koche ich ein Ei?“ Junge Menschen ziehen es zudem vor, sich zum Essen außerhalb des Elternhauses zu verabreden. Das gemeinsame Essen mit Freunden sei dabei Ausdruck sozialer Identität, sagt Gesellschaftswissenschaftlerin Häußler. Wer etwa „bewusst“ isst, zeigt, dass er seine physischen Ressourcen, sein körperliches Kapital gut investiert. Wer mit dem coffee-to-go Becher rumrennt, signalisiert auf Dauer gestellte Mobilität und Leistungsbereitschaft.

Ohne Frühstück in die Schule

Wie Forschungen belegen, variiert die Lust oder Unlust aufs Frühstücken je nach Bildungshintergrund und Herkunft. Wer unter prekären Verhältnissen lebt, verhält sich eher frühstücksfern, Besserverdienende sind eher frühstücksaffin. Die Verlierer sind alleinerziehende Frauen. In den großen Städten beträgt der Anteil Alleinerziehender mit einem oder mehreren Kindern zwanzig Prozent. Da diese zu unterschiedlichen Zeiten zur Kita oder in die Schule gebracht werden müssen und wenn Mütter zudem in unsteten Arbeitsverhältnissen auf dem zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt sind, sind die häuslichen Arbeiten am Morgen kaum zu schaffen.

Seit einigen Jahren entstehen deshalb bundesweit Initiativen, wie der Verein BrotZeit von Schauspielerin Uschi Glas, um zu verhindern, dass vor allem Kindern aus sogenannten sozialen Brennpunkten ohne Frühstück zur Schule gehen.

Uschi Glas - BrotZeit (Foto: dpa Bildfunk, dpa Bildfunk - Foto: Horst Ossinger/dpa)
Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich mit ihrer Initiative BrotZeit e.V. für ein gesundes Schulfrühstück ein.

Schulessen gegen Kinderarmut

Diese Initiativen sind für Angela Häußler von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg aber nur ein „Pflästerchen“ auf ein viel größeres, gesellschaftliches Problem. Nach aktuellen Schätzungen des deutschen Kinderschutzbundes sind 4,4 Millionen Kinder in der Bundesrepublik von Kinderarmut betroffen. Die Frage, so Häußler, sei deshalb: „Wie können wir Kinderarmut bekämpfen, was bräuchte es denn an Unterstützungsleistungen, um Familien zu ermöglichen, dass sie die Ernährungsversorgung ihrer Kinder gut hinkriegen?“ Eine Maßnahme sei zum Beispiel ein selbstverständliches Angebot von gutem Schulessen für alle.

Kinder aus verschiedenen Nationen sitzen in einem Kindergarten bei einer Frühstückspause beisammen. (Foto: SWR, SWR -)
Frühstücken ist für Kinder besonders wichtig. Bild: Kindergarten für Flüchtlinge.

Konkurrenz für den Schulkiosk

Rund um die Schulen hat sich mittlerweile eine große Ernährungsindustrie breit gemacht. Imbisswagen, Dönerbuden, Bäckereien und Supermärkte siedeln sich gezielt in direkter Nachbarschaft der Schulen an. Professionelle Caterer versorgen die Schulkantinen. In Baden-Württemberg gibt es an Schulen außerdem „Frühstückclubs“ zur „Ernährungsbildung“, die von einem amerikanischen Cornflake-Konzern gesponsort werden und auch seinen Namen tragen. Im Rhein-Neckar-Gebiet findet sich eine Schul-Turnhalle, die den Namen eines Süß-Getränks trägt, das nach einer vor Neapel gelegenen Sonneninsel benannt ist.

Körnerkauen gegen Masturbation

Doch wer bestimmt, was etwa ein gutes Schul-Frühstück ist? Die Diskussion um gesundes, wertvolles und natürliches Essen führt zurück bis in die Zeit der Romantik und zu dem französischen Pädagogen Jean-Jacques Rousseau. Einen weiteren Meilenstein bildete im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die Erfindung des dunklen Vollkornbrotes durch den presbyterianischen Prediger Sylvester Graham. Das Körnerkauen, predigte Graham, täte der Jugend in mehrfacher Weise gut. Nicht zuletzt helfe es, den Nachwuchs von der Masturbation abzuhalten.

Fromme Frühstücksflocken

Um 1900 erfanden die amerikanischen Gebrüder Kellogg, beide engagierte Mitglieder der Gemeinschaft der Adventisten, die Cornflakes. Mit dem Erlös ihrer Bücher begann die schwedische Autorin Selma Lagerlöf, eine fromme Pietistin, ein Jahrzehnt später, Gesundheitskost aus Hafer zu produzieren. Die von der Konkurrenz in den USA unter dem Namen Quaker Oats vertriebenen amerikanischen Haferflocken, heute ein Teil des Pepsico-Imperiums, waren damals schon längst ein Erfolg. Der Name war mit Bedacht gewählt. In den USA galten die Quäker mit ihrer frommen und schaffigen Lebensführung als Vorläufer und Vorbilder modernen kapitalistischen Unternehmergeistes.

Brunch statt Frühstück

Dem gefühlten Bedeutungsverlust des Frühstücks stehen die regelmäßig vom Statistischen Bundesamt erhobenen Zeitbudgetstudien entgegen. Sie belegen, dass die gemeinsamen Frühstückszeiten über die Jahre konstant geblieben sind. Damit könnte ein geradezu gegenläufiger Trend zur Frühstücksabstinenz zu tun haben. Denn mittlerweile werden Familienbrunchs am Wochenende immer beliebter.

„Aus dem konventionellen Esser wird allmählich der qualitätsbewusste, dem das originelle Frühstück wichtig ist, der neue Dinge erfahren will, und das ist ein ganz starker Trend“, beobachtet auch Ernährungspsychologe Klotter. Das Brunch, also die ausgedehnte Kombination aus Breakfast und Lunch, löst das Standard-Frühstück an deutschen Esstischen, Brot, Wurst, Käse, zunehmend ab. Nach dem Motto: Was man unter der Woche nicht schafft, wird am Wochenende nachgeholt.

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