Philosophie-Titan

Zum 50. Todestag Adornos

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AUTOR/IN
Tilman Allert

Eine ganze Studentengeneration hat sich von Theodor W. Adornos Schriften inspirieren lassen. Welche biografischen Hintergründe hat Adornos Denk- und Sprachstil? Antworten gibt der Soziologe Professor Tilman Allert.

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Die Aula auf einen Blick:

Es gibt mindestens drei biografische Schlüssel zu Adornos Werk.

1. Das doppelt behütete Kind

„Doppelt behütet bezieht sich auf eine Besonderheit seiner frühen Familienerfahrung, in der sich neben seiner Mutter Maria Cavelli-Adorno, eine Sängerin, deren jüngere Schwester Agathe, eine unverheiratete Tante, auch sie frühere professionelle Musikerin, der Förderung des jungen Adorno angenommen haben. Kaum verwundert es, dass diese Konstellation, zumal bei einem Einzelkind, Spuren hinterlässt. Sie begründet eine Verletzbarkeit der Sinne, eine Qualität bürgerlichen Behütetseins, unter der die Unerschrockenheit des „angstfreien Denkens gedeiht“, wie Jürgen Habermas, der wohl berühmteste Schüler und Nachfolger Adornos, über seinen Lehrer schreibt.

2. Das Unsagbare zum Sprechen bringen

„Nach der erzwungenen Emigration in die USA, unter dem Eindruck der historischen Katastrophe des Holocaust umschließt das zum Sprechen bringen, das stumme Leid zum Sprechen zu bringen.  Dieses Motiv ist wiederum verknüpft mit Adornos Erfahrung, ein „geistig-transzendendaler Obdachloser“ zu sein. „Wer keine Heimat hat, dem wird wohl das Schreiben zum Wohnen“, so greift in dem Essayband „Minima Moralia“ Adorno das Schicksal des Judentums auf.

Briefmarke Theodor W. Adorno (Foto: IMAGO, imago images / Schöning)
Die Briefmarke der Deutschen Bundespost zeigt Theodor W. Adorno

Gemeint ist das Exil und die strukturelle Heimatlosigkeit, die mit unmittelbaren Folgen für das Erleben des Sozialen einhergeht, nämlich als Ausgeschlossener unter einer besonderen Herausforderung zu leben, sich die umgebende Kultur anzueignen, die Not der Randständigkeit das Bemühen auslöst, die Fremdheit der Umgebung in ihren jeweiligen Ausdrucksformen zu erkennen.“

3. Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies der Kindheit

„Marcel Proust wurde für Adorno eine exemplarische Figur. Im Durchgang durch dessen literarisches Werk wird das Kind als Adornos Held erkennbar: „Noch das erwachsene Leben wird von Proust mit staunenden und fremden Augen angeschaut. Proust hat überhaupt die falsche Reife der Resignation nicht mitgemacht. … Die Treue zur Kindheit ist eine zur Idee des Glücks, das Proust um nichts in der Welt sich wollte abhandeln lassen.“ Das Zitat klingt im Lichte von Werk und Person Adornos wie ein Selbstgespräch. Kindheit bedeutet für Adorno eine Erfahrung des Geborgenseins, aber eben auch verbunden mit dem Vermögen, die Welt neu zu sehen.

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Tilman Allert