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Erdgas im Mittelmeer – Neue Chancen für den Nahen Osten?

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Susanne El Khafif
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Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Im östlichen Mittelmeer lagern riesige Erdgasfelder, für die sich auch Europa interessiert. Die Erschließung könnte einige Bewegung in den Nahen Osten bringen.

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Erdgas aus dem Nahen Osten statt aus Russland?

Auch Deutschland setzt auf Erdgas, weil es – zumindest verglichen mit Kohle und Öl – klimafreundlicher ist. Größter Lieferant ist Russland – von dort bezieht Deutschland rund ein Drittel seines Bedarfs. Doch nun gibt es eine neue Quelle:

Vor zehn Jahren wurde Erdgas im östlichen Mittelmeer gefunden. In gigantischer Menge. Mehrere Billionen Kubikmeter Gas sollen es sein. Die Anrainer am Mittelmeer freuen sich: Ägypten, Israel, Zypern. Und die Palästinenser. Sie wollen trotz bestehender Probleme zusammenarbeiten.    

Wenn man einen solchen Markt hat, gibt es zwei Wege: Entweder man konkurriert und endet im Konflikt – den gibt es bereits mit der Türkei – oder aber man kooperiert und stellt sicher, dass alle davon profitieren.

Erdgas in Israel, Zypern, Ägypten

  • 2009 waren Tamar und Leviathan gefunden worden, zwei spektakuläre Gasfelder in der Wirtschaftszone Israels.
  • Es folgten Aphrodite, das zu Zypern gehört.
  • 2015 schließlich meldet der italienische Energiekonzern ENI die Entdeckung von Zohr, einem gigantisches Gasfeld 200 km vor der ägyptischen Küste.

Seitdem reißen die Nachrichten über weitere große Funde nicht ab. Schätzungen gehen von mehreren Billionen Kubikmetern Gas insgesamt aus.

Benjamin Netanjahu (2.v.r.), Premierminister von Israel, bei der Ankunft zur Einweihung der Plattform Leviathan zur Förderung von Erdgas im Mittelmeer.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Amos Ben Gershom)
Benjamin Netanjahu (2.v.r.), Premierminister von Israel, bei der Ankunft zur Einweihung der Plattform Leviathan zur Förderung von Erdgas im Mittelmeer.

Die große Chance: Anrainer wollen kooperieren

Die Anrainer haben sich für die Kooperation entschieden. Mitte Januar 2019 versammelten sich die Energieminister von sechs Staaten in Kairo: Zypern, Griechenland, Italien, Ägypten, Jordanien, Israel. Und der Energieminister der Palästinensischen Autonomiegebiete. Sie verkünden die Gründung eines Forums: das "Eastern Mediterranean Gas Forum" mit Sitz in Kairo.

Das Forum soll für Wohlstand und Stabilität sorgen und Energie bereitstellen – für die Region und den Weltmarkt. Und es soll die Interessen seiner Mitglieder nach außen vertreten. Denn die Länder wissen: Jedes Land für sich ist nur ein kleiner Player im internationalen Gasgeschäft. Zusammen aber können sie den "Großen" – Katar, Iran, den USA und Russland – auf Augenhöhe begegnen. 

Interesse aus Deutschland – Besuch von Altmaier

Kurz nach der Gründung des Forums besuchte Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, die ägyptische Hauptstadt. Er hält das Forum für eine kluge Idee.

Sie führt dazu, dass frühere Feinde, die noch vor wenigen Jahrzehnten Krieg geführt haben, jetzt darüber miteinander sprechen, wie sie ihren Schatz, den sie jetzt erschließen, gemeinsam so vermarkten, dass es ökologisch verträglich ist und gleichzeitig auch eine verlässliche Gasversorgung in anderen Teilen Europas ermöglicht.

Deutschland jedenfalls ist offen für das neue Gas aus dem Nahen Osten. Im März 2019 hat die Bundesrepublik zwei Flüssiggas-Terminals beschlossen. Dorthin könnte das Gas aus Ägypten per Schiff gebracht werden.

Ägypten, Kairo: Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, während des 5. ägyptisch-deutschen Wirtschaftsforums. Mit Sahar Nasr (r), ägypt. Ministerin für Investitionen und internationale Zusammenarbeit, und Amr Nassar, Minister für Industrie, Handel und Kleinindustrie. Es geht auch um Erdgas. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Omar Zoheiry)
Ägypten, Kairo: Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, während des 5. ägyptisch-deutschen Wirtschaftsforums. Mit Sahar Nasr (r), ägyptische Ministerin für Investitionen und internationale Zusammenarbeit, und Amr Nassar, Minister für Industrie, Handel und Kleinindustrie. Es geht auch um Erdgas.

Gasverflüssigung in Ägypten – Export nach Europa

Ägypten soll Drehscheibe des regionalen Gashandels werden. Kairo will zusätzlich Gas kaufen, weiterverarbeiten, dann verkaufen. Tatsächlich verfügt Ägypten als einziges Mitglied des Gasforums seit Jahren über Anlagen zur Gasverflüssigung (LNG). Das verflüssigte Gas kann dann per Schiff nach Europa transportiert werden.

Mit Zypern will Ägypten eine Pipeline bauen. Zyprisches Gas soll zu den LNG-Anlagen an der ägyptischen Nordküste transportiert werden. Auch das wurde bereits vertraglich besiegelt.

Außerdem hat sich Ägypten mit Israel geeinigt: Es kauft israelisches Gas für 15 Milliarden US-Dollar, über eine Zeitspanne von zehn Jahren. Offizielle Stellen in Israel bezeichneten das als das bedeutendste Abkommen zwischen beiden Staaten seit dem Friedensschluss 1979.

Ende 2019 soll das erste israelische Gas über eine Pipeline durch den Sinai nach Ägypten fließen. Sie soll die israelischen Gasfelder direkt mit der ägyptischen Küste verbinden. 

Drohende Konflikte mit Türkei und Russland

Doch es drohen mindestens drei Konflikte.

  • Zum einen mit der Türkei. Sie ist gewichtige Regionalmacht, ebenfalls Mittelmeer-Anrainer und will eine Art "Transit-Land" für Gas werden. Die Türkei ist aber kein Mitglied des Gasforums – weil ihr Verhältnis zu Israel und Ägypten gestört ist. Da die Türkei Nordzypern als eigenen Staat betrachtet, akzeptiert sie auch keine Abkommen, die der Süden Zyperns im Namen der ganzen Insel geschlossen hat – und beansprucht zudem Vorkommen vor der zyprischen Küste für sich. Das demonstriert sie auch mit Kriegsschiffen. So kam es dort zuletzt immer wieder zu Konfrontationen mit der EU.
  • Ein möglicher zweiter Konflikt ergibt sich aus der Zusammensetzung des neuen Forums selbst: Israelis und Palästinenser unter einem Dach – kann das gut gehen? Im Alltag gebe es mehr Koordination zwischen beiden Seiten als Europa vermute, meint dazu der israelische Sicherheitsexperte Ofir Winter. Er hofft, das Gasforum werde Israel helfen, seine Isolation in der Region zu überwinden.      
  • Bleibt die Rivalität zwischen den USA und Russland – der dritte Konflikt, der den Erfolg des neuen Gasforums zunehmend gefährdet.  Die USA und ihr Präsident Trump unterstützen das Gasforum. Denn damit würde Europa unabhängiger von Russland, was Russlands Macht schwächen würde. Die USA können sich sogar eine Pipeline durchs Mittelmeer nach Griechenland vorstellen. Ein ehrgeiziges Projekt, das Russland nicht gefallen dürfte.
Das türkisches Bohrschiff Yavuz im Mittelmeer. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Celal Gunes/ Anadolu Agency )
Das türkisches Bohrschiff Yavuz im Mittelmeer.

Russlands Interessen

Denn Russland baut an einer eigenen Pipeline, zusammen mit der Türkei. Die soll russisches Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei führen, vorbei an der Ukraine und dann nach Europa. Der Bau ist bereits weit fortgeschritten. Der Rivalität zwischen Russland und den USA dürfte das weiter Vorschub leisten.

"Ich denke nicht, dass Russland die Arbeit des neuen Gasforums direkt behindern wird", sagt die Sicherheitsexpertin Gallia Lindenstrauss. "Doch es kann seine dominante Position auf dem Markt nutzen. Es wäre also ein Preiskrieg. Das Gas aus dem östlichen Mittelmeer dürfte an Attraktivität verlieren, wenn Russland seine Preise senkt.“

Erdgas bleibt fossile Energie

Nicht freuen dürfte diese Entwicklung die Schülerinnen und Schüler, die auch in Deutschland gegen den Klimawandel demonstrieren. Sie fordern einen kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien ab 2035. Erdgas hätte in diesem Konzept keinen Platz.

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