Gegen jede Überzeugung

„Wir müssen Kinderbücher umtexten“

Stand
AUTOR/IN
Nicole Diekmann
Stephan Anpalagan

Nicole Diekmann und Stephan Anpalagan diskutieren „Gegen jede Überzeugung“.

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Wenn Kinderbücher umgetextet werden, bricht zuverlässig Empörung aus. Dann heißt es schnell, die Kunstfreiheit sei in Gefahr. Ist das wirklich so schlimm, wenn der N***-König in Pippi Langstrumpf in Südsee-König umbenannt wird? Oder in Mary Poppins schwarze Menschen nicht länger grammatikalisch fehlerhaft herumstammeln? Ist das ein Anschlag auf die Sprache?

Kritikern geht die Aufregung zu weit. Sie monieren:

  • Erstens: Kinderbücher umzutexten ist eine Frage des Jugendschutzes (und keineswegs neu)
  • Zweitens: Sprachgewohnheiten verändern sich - so auch die literarischen Werke
  • Drittens: Wir verlieren nichts, gewinnen aber viel, wenn wir rassistische Begriffe aus dem Verkehr ziehen.

Nicole Diekmann und Stephan Anpalagan diskutieren daher die These: Wir müssen Kinderbücher umtexten.

Noch ein Podcast-Tipp aus der Redaktion: In "Amerika, wir müssen reden!" sprechen Ingo Zameroni von der Tagesthemen und seine amerikanische Frau Jiffer Bourguignon über die Vereinigten Staaten, über Politik und Gesellschaft und die Themen, die ihre Familie und das ganze Land spalten.

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Sensitivity Reading: Sollen wir verletzende Literatur umschreiben?

In einem der Kinderbücher des britischen Autors Roald Dahl statt fett heißt es nun kräftig, James Bond soll in der Neuauflage der Romane nicht mehr so sexistisch sein: Ist das Zensur oder zeitgemäß? Und was macht diese Debatte mit unserem Verständnis von Literatur und Autorschaft?

“Es gibt Editionswissenschaften, wenn ich die Texte wirklich so lesen will, wie sie ursprünglich erschienen sind, kann ich das machen”, sagt Aşkın-Hayat Doğan. Er ist professioneller Sensitivity Reader, jemand der Bücher mit Blick auf Stereotype und realistische Darstellungen lektoriert - immer nur als Vorschlag, nie als Vorschrift. “Literatur darf immer noch alles.” Aber er betont auch: “Literarische Originalität ist nicht wichtiger als die Verletzung, die der Text bei anderen anrichtet.”

Wenn es um Änderungen an bereits publizierten Texten geht, ist Jens Jessen, ehemaliger Literaturchef der ZEIT, kritischer: “Natürlich dürfen scheußliche Gestalten in Romanen oder Theaterstücken auftauchen. Auf die Spitze getrieben hieße das sonst, wir landen wieder bei einer strengen Zensur wie im 17. Jahrhundert.” Die Autor*innen hätten vor 100 oder 200 Jahren eben nicht so geklungen wie wir heute.

Also alles eine aufgeblasene Debatte oder doch ein Problem für die Kunstfreiheit? Hört rein und bildet euch selbst eine Meinung!

Habt ihr weitere Themen oder Feedback?
Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de

Hosts: Christian Batzlen und Pia Masurczak
Showrunner: Giordana Marsilio

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Die Deutschen und ihre Märchen: Wann schütteln wir die Schwarze Pädagogik ab?

Unter dem Weihnachtsbaum liegt vermutlich auch dieses Jahr wieder bei vielen Familien Bruno Bettelheims Klassiker „Kinder brauchen Märchen“. Aber stimmt das? Märchen sind oft grausam, zeigen problematische Geschlechterbilder und gehen – anders als das Leben – immer gut aus. Trotzdem können sie für die Erziehung von Kindern Impulse liefern, sagt der Märchenpädagoge Oliver Geister.

Längst nicht alle Kinder ‚brauchen‘ Märchen, sagt dagegen die Journalistin und Ratgeberautorin Nora Imlau. Allein schon deshalb nicht, weil Kinder heute ihre Gefühle zulassen dürfen – und dafür in den Märchen kein Ventil mehr brauchen, wie noch Bruno Bettelheim behauptet hatte. Dafür sorgen laut Imlau moderne Erziehungsideale, die bei Kindern Mündigkeit und Bindung fördern sollen.

Aber warum scheinen die Deutschen ihre Märchen dennoch so zu lieben? Denn die Klassiker-Sammlung der Gebrüder Grimm ist immer noch erfolgreich – wenn auch oft in entschärften Varianten. Steckt in uns doch mehr Schwarze Pädagogik, als wir uns vorstellen können?

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Host und Redaktion: Philine Sauvageot

Oliver Geisters Aufsatz „Achtung böse! Die zehn grausamsten Märchen der Brüder Grimm“ von 2014 findet ihr unter diesem Link: http://maerchenpaedagogik.de/geister_achtung_boese.pdf

Kommt alle zum SWR Podcast-Festival! Von 12.-14.01.2023 in Mannheim. Tickets gibts hier: https://www.swr.de/home/podcastfestival-100.html

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Lesepartner für Kinder- und Jugendliteratur: Mit diesem Siegel wurden in Stuttgart 25 Buchhandlungen für die nächsten beiden Jahre ausgezeichnet.

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