Theaterhaus Stuttgart

Wiederaufführung von Wolfgang Rihms legendärem "Tutuguri" (2018)

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Musik ist von Anbeginn an eine körperliche Angelegenheit. Sowohl für die Ausführenden als auch für die Zuhörenden. In manchen Werken der Musikgeschichte hallen diese rituellen Ursprünge der Musik noch immer nach. Diesem Nachklang hat Wolfgang Rihm seine gewaltige Ballettmusik „Tutuguri“ gewidmet. Das Stück ist längst zur Legende geworden. Noch 2015, aus Anlass der englischen Erstaufführung, schrieben Kritiker davon, dass man einiges darüber gehört, aber es eben fast nie wirklich als Konzert erlebt habe. Im SWR2 JetztMusik-Konzert am 2. Juni im Theaterhaus in Stuttgart ist das großartige Werk jetzt mit dem SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Emilio Pomàrico konzertant wieder zu hören.

Wolfgang Rihms musikalisches Ritual "Tutuguri"

Die gewaltige, überwältigende Musik Rihms geht auf die Erfahrungen des französischen Surrealisten, Dichters und Schauspielers Antonin Artaud zurück. 1936 reiste dieser nach Mexiko und verbrachte einige Zeit bei den Tarahumara-Indianern, Nachfahren der Azteken. Er lernte ihre Rituale kennen, Extase-Techniken, die durch den Drogenrausch des Peyote-Kaktus unterstützt werden. All dies fand Eingang in Texte und das Hörspiel „Pour en finir avec le jugement de dieu / Schluss machen mit dem Gottesgericht“ auf dem das Klangritual von Wolfgang Rihm basiert.

Wolfgang Rihm (Foto: SWR, Universal Edition - Eric Marinitsch)
Wolfgang Rihm

Die ersten drei Bilder dieser Tanzmusik entfalten zunächst einen Rausch des Orchesters. Das vierte Bild konzentriert sich dagegen ganz auf sechs Schlagzeuger, die den Klang wie eine Skulptur rund um das Publikum formen und behauen. Nur selten wurde Rihms Musik nach ihrer Uraufführung 1981 an der Deutschen Oper Berlin als szenisches Ballet realisiert, zuletzt 2002 in Stuttgart mit dem damaligen Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR. Wie bei dieser legendär gewordenen Aufführung übernimmt der Stimmspezialist Rupert Huber erneut die Partie des Sprechers zwischen Klang und Schrei in dieser konzertanten Aufführung.

Diese explosive Herausforderung an das Orchester und das Publikum kann zweifellos als eines der Hauptwerke des Komponisten gelten, denn wie er selbst einmal schrieb: „Musik als Wechselbeziehung von stummer Struktur und Klang ist primär Emotionsträger und –erreger.“ Diese Dimension der klanglichen Emotion realisiert sich in „Tutuguri“ wie in kaum einem anderen Werk Rihms, der seine Arbeitsweise auch schon einmal als vegetativ wuchernd bezeichnet hat, ganz als hätte er mit Artaud den Peyote-Rausch geteilt.

Albert Posadas "Erinnerungsspuren"

Alberto Posadas (Foto: SWR, Alberto Posadas - Lucia Morate)
Alberto Posadas

Zwischen die beiden Konzertteile dieses außerordentlichen Werkes ist eine andere Herausforderung gestellt: Nämlich die des pianistischen Virtuosen, der den zwischen 2010 und 2013 komponierten, gewaltigen Klavierzyklus „Erinnerungsspuren“ des spanischen Komponisten Alberto Posadas zu realisieren hat. Florian Hoelscher wird diese kompositorische Auseinandersetzung mit Kernkomponisten aus der Geschichte der Klaviermusik wie Francois Couperin, Robert Schumann und Claude Debussy in einer Gesamtaufführung zum zweiten Mal in Stuttgart darbieten. Zwei dieser Anklänge wurden in Stuttgart bereits beim Festival Eclat aufgeführt, jetzt wird der Gesamtzyklus zu hören sein, der auch drei Kompositionsaufträge des SWR enthält.

Diese beiden großformatigen Werke des SWR JetztMusik-Konzertes - Wolfgang Rihms "Tutuguri" und Alberto Posadas "Erinnerungsspuren" verkörpern als „Ritual und Zyklus“ zwei Grundaspekte von Musik als gegenwärtiger Klang und Geschichte. Sie führen zu allem Ursprung von Musik als ritueller Aktion zurück und verweisen auf ihre jahrhundertealte Geschichte und Überlieferung, die zum kulturellen Gedächtnis der Menschheit zu zählen ist. Vor allem entfalten sie sich nicht zuletzt als wesentliche Qualität von Musik: und das ist die ihrer Emotion.

Konzerttermine

Konzerteinführung für beide Werke um 15 Uhr

Sendungen in SWR2

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SWR