Wolfgang Rihms musikalisches Ritual "Tutuguri"
Die gewaltige, überwältigende Musik Rihms geht auf die Erfahrungen des französischen Surrealisten, Dichters und Schauspielers Antonin Artaud zurück. 1936 reiste dieser nach Mexiko und verbrachte einige Zeit bei den Tarahumara-Indianern, Nachfahren der Azteken. Er lernte ihre Rituale kennen, Extase-Techniken, die durch den Drogenrausch des Peyote-Kaktus unterstützt werden. All dies fand Eingang in Texte und das Hörspiel „Pour en finir avec le jugement de dieu / Schluss machen mit dem Gottesgericht“ auf dem das Klangritual von Wolfgang Rihm basiert.

Die ersten drei Bilder dieser Tanzmusik entfalten zunächst einen Rausch des Orchesters. Das vierte Bild konzentriert sich dagegen ganz auf sechs Schlagzeuger, die den Klang wie eine Skulptur rund um das Publikum formen und behauen. Nur selten wurde Rihms Musik nach ihrer Uraufführung 1981 an der Deutschen Oper Berlin als szenisches Ballet realisiert, zuletzt 2002 in Stuttgart mit dem damaligen Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR. Wie bei dieser legendär gewordenen Aufführung übernimmt der Stimmspezialist Rupert Huber erneut die Partie des Sprechers zwischen Klang und Schrei in dieser konzertanten Aufführung.
Diese explosive Herausforderung an das Orchester und das Publikum kann zweifellos als eines der Hauptwerke des Komponisten gelten, denn wie er selbst einmal schrieb: „Musik als Wechselbeziehung von stummer Struktur und Klang ist primär Emotionsträger und –erreger.“ Diese Dimension der klanglichen Emotion realisiert sich in „Tutuguri“ wie in kaum einem anderen Werk Rihms, der seine Arbeitsweise auch schon einmal als vegetativ wuchernd bezeichnet hat, ganz als hätte er mit Artaud den Peyote-Rausch geteilt.
Albert Posadas "Erinnerungsspuren"

Zwischen die beiden Konzertteile dieses außerordentlichen Werkes ist eine andere Herausforderung gestellt: Nämlich die des pianistischen Virtuosen, der den zwischen 2010 und 2013 komponierten, gewaltigen Klavierzyklus „Erinnerungsspuren“ des spanischen Komponisten Alberto Posadas zu realisieren hat. Florian Hoelscher wird diese kompositorische Auseinandersetzung mit Kernkomponisten aus der Geschichte der Klaviermusik wie Francois Couperin, Robert Schumann und Claude Debussy in einer Gesamtaufführung zum zweiten Mal in Stuttgart darbieten. Zwei dieser Anklänge wurden in Stuttgart bereits beim Festival Eclat aufgeführt, jetzt wird der Gesamtzyklus zu hören sein, der auch drei Kompositionsaufträge des SWR enthält.
Diese beiden großformatigen Werke des SWR JetztMusik-Konzertes - Wolfgang Rihms "Tutuguri" und Alberto Posadas "Erinnerungsspuren" verkörpern als „Ritual und Zyklus“ zwei Grundaspekte von Musik als gegenwärtiger Klang und Geschichte. Sie führen zu allem Ursprung von Musik als ritueller Aktion zurück und verweisen auf ihre jahrhundertealte Geschichte und Überlieferung, die zum kulturellen Gedächtnis der Menschheit zu zählen ist. Vor allem entfalten sie sich nicht zuletzt als wesentliche Qualität von Musik: und das ist die ihrer Emotion.
Konzerttermine
Konzerteinführung für beide Werke um 15 Uhr