Die einzigen Bewohner, die heute im riesigen Nationalpark leben, sind die Besatzungen der Wetterstationen und die Sirius-Patrouille, eine dänische Hundeschlitten-Einheit - insgesamt 35 Menschen. Und immer wieder besuchen Forscher den Nationalpark, um zu verstehen, wie sich das fragile arktische Ökosystem verändert. Denn das kilometerdicke grönländische Eisschild schmilzt extrem schnell weg.
Es gibt keine Straße nach Nordostgrönland
Die Fläche des arktischen Meereises hat sich in den letzten 35 Jahren halbiert, sagen Glaziologinnen und Glaziologen: eine Folge des Klimawandels, der hier in der Arktis rasanter voranschreitet als irgendwo sonst. Noch führt keine Straße in den 1974 gegründeten Nationalpark Nordostgrönland. Der größte Nationalpark der Welt nichts als arktische Wildnis. Eine Fläche, fast dreimal so groß wie die Bundesrepublik und zum größten Teil von einem bis zu 3.400 Meter dicken Eisschild bedeckt. Dieser Eisschild stammt noch aus der letzten Eiszeit, die vor 11.000 Jahren endete.
Der Anthropologe und Arktisführer Louis Chartres erklärt: Historisch konnten Menschen nur soweit im Norden leben, wie die Baumgrenze reichte. Wo es Bäume gab, konnten sie Feuer machen – und wir brauchen Feuer um zu überleben. Aber die Inuit haben es geschafft, Feuer so hoch in den Norden zu bringen, weil sie Robbenfett in Lampen und Öfen verbrannten. Sie konnten heizen, sie konnten kochen, aber sie lebten hauptsächlich von rohem Fleisch. Es ist sehr ungewöhnlich, dass sie so hoch im Norden überleben, wo keine Bäume gedeihen. Das heißt ja auch: es gibt keinen Baustoff. Kajaks haben sie aus Treibholz gebaut, das hier sehr kostbar ist, aus Knochen und aus Häuten, die sie über die Rümpfe gespannt haben, eine beeindruckende Überlebenstechnik.

Menschen folgten ihrer Beute
Die frühesten Inuit-Kulturen waren, aus Alaska und Kanada kommend, vor etwa 2.500 Jahren nach Grönland eingewandert – zu einer Zeit, als die Temperaturen etwas höher lagen als heute. Die Menschen waren den Routen ihrer Beutetiere gefolgt, vor allem den mächtigen Moschusochsen. Füchse, Schneehühner und Gänse fingen sie mit Fallen, Robben und Wale harpunierten sie u.a. von Kajaks aus. Aus deren Knochen stellten sie Werkzeuge und Waffen her. Aus Flintstein fertigten sie Pfeil- und Harpunenspitzen. Archäologinnen und Archäologen entdeckten Überreste sogenannter "Erdhäuser": mit Steinen ausgemauerte Kuhlen im Boden, die mit Gerüsten aus Walknochen und Treibholz überdacht und mit Fellen oder Grassoden gedeckt waren.
Wer heute den Nationalpark besuchen will, muss mit einem Eisbrecher anreisen. Der Nordost-Grönland Nationalpark ist nicht nur der größte Nationalpark der Welt, sondern auch der am schwersten zugängliche. Die dänische Regierung hat den Nationalpark eingerichtet, um großflächig eines der letzten unberührten Naturreservate der Welt zu schützen. Eine Infrastruktur gibt es dort nicht. Die einzige nicht militärische Station im Nationalpark ist eine Wetterstation. Sie wird von einer internationalen, zivilen Luftfahrtorganisation finanziert und steht in Danmarkshavn. Mit einem Wetterballon messen die Meteorologen Wetterdaten auf verschiedenen Höhen.

Die Hüter des Nationalparks
Die dänische Sirius-Patrouille ist die Hundeschlitteneinheit des dänischen Militärs: Sie besteht aus zwölf abenteuerlustigen Männern, die den Nationalpark hüten und die dänische Souveränität in diesem abgelegenen Teil Grönlands vertreten. Die Männer sind mit Entbehrung und Kälte vertraut und wissen, was zu tun ist, wenn sie Eisbären begegnen. Sie dürfen sie vertreiben, aber nicht erschießen – außer in Notwehr. Die Sirius-Patrouille baut Schutzhütten und legt entlang der Küste Depots mit Proviant und Hundefutter an. Jeweils zu zweit sind die Männer wochenlang in Schnee und Eis unterwegs – mit einem Schlitten, einem sturmfesten Spezial-Zelt, Proviant und 13 Schlittenhunden.
Die Sirius-Patrouille wurde im Zweiten Weltkrieg gegründet. Dänemark wollte so verhindern, dass Deutschland Wetterstationen in Nordostgrönland errichtet. Die Wettervorhersage für Europa war für die Kriegsführung strategisch wichtig.

Heute ist der Job als Hüter der riesigen arktischen Naturparkfläche in den Vordergrund gerückt
So unterhält die Sirius-Patrouille zahlreiche Schutzhütten entlang der Küste und versorgt diese auch mit Proviant. In den Hütten gibt es immer die gleichen Vorräte: Tomaten in Dosen, Konservensuppen, Müsli, auch als Müsliriegel, Schokolade und andere Süßigkeiten, Chips, Tee, Limonaden und Säfte. Kein Alkohol. Die Öfen sind zum Anfeuern vorbereitet. Auf den Tischen liegen geöffnete Streichholzschachteln, aus denen dicke, gut zu greifende Streichhölzer herausragen. Selbst mit erfrorenen Fingern soll man hier noch Feuer machen können.

Bei gutem Wetter zeigt sich der Nationalpark an der Küste mit Postkartenpanoramen: Tiefblauer Himmel und Eisberge, die wie Sahnehäubchen aus der glitzernden See ragen. Gelegentlich lassen sich auch die tierischen Bewohner des arktischen Paradieses blicken. Zum Beispiel Eisbären, die auf Schollen vorbeitreiben. Raubmöwen, Eissturmvögel, Robben und Walrosse.

Die Tierwelt Grönlands ist erstaunlich reich: neben Moschusochsen und Eisbären streifen Polarwölfe und Polarfüchse durch die Tundra. Auch Schneehasen, Lemminge und Hermeline sind hier zuhause. Ebenso rund 200 Vogelarten wie Lummen, Kormorane, Papageientaucher, Schneehühner und Schneeeulen. Und mehr als 700 Insektenarten, vor allem blutsaugende Stechmücken, Spinnen, Hummeln und sogar Schmetterlinge. Sie leben hier im Paradies, denn nur Iniut dürfen heute noch im Nationalpark Nordostgrönland jagen.

Grönland ist reich an Bodenschätzen
Ortsnamen wie Große Koldewey Insel, Germania-Land oder Franz-Josef-Fjord zeugen von Expeditionen nach Nordostgrönland, die nicht alle gut endeten. Die Begehrlichkeiten waren früh schon groß. Denn Grönland hat alles an Bodenschätzen, was man sich nur wünschen kann. Es gibt Gold, Silber, Blei, Zink, Uran, und seltene Erden. Doch der Weg hierher und die absehbaren Schwierigkeiten beim Abbau der Bodenschätze hat bisher verhindert, dass Nordost-Grönland ausgebeutet wird.
Doch je rascher die Gletscher schwinden, umso zugänglicher werden die Reichtümer, die seit Millionen Jahren in den Gebirgen ruhen. Noch sind Meteorologen und die Sirius-Patrouille die einzigen Menschen im Nationalpark, insgesamt nicht mehr als 35 Leute. Gelegentlich gesellen sich in den Sommern ein paar Forscherinnen, Forscher und Touristen dazu. Doch das könnte sich – zumindest im Küstenstreifen – bald ändern.
