Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur.

Musik und Protest: Welche Lieder braucht es für eine Revolution?

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AUTOR/IN
Pia Masurczak
Giordana Marsilio
Giordana Marsilio (Foto: Giordana Marsilio, Autorin und Redakteurin, SWR Kultur)

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Im Iran gehen seit Mitte September jede Woche zehntausende Menschen auf die Straße - gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen das Regime als Ganzes. Davon, und von der brutalen Niederschlagung der Proteste, bekommen wir hier nur Bruchstücke zu sehen, weil das Regime das Internet drosselt und fast keine unabhängigen Journalist*innen mehr vor Ort sind. Was bei uns ankommt: Die Musik der Revolution, so wie die Hymne „Baraye“ von Shervin Hajipour. Welche Bedeutung hat diese Musik für die Prostest - und wie hängen Musik und Protest überhaupt zusammen?

„Zu Marschmusik protestiert man nicht“, sagt der Musikjournalist Keno Mescher, denn Protest drückt sich nicht nur in den Lyrics, sondern auch in der Musik selbst aus. Und für die Politikwissenschaftlerin Naika Foroutan zeigt sich in „Baraye“ verdichtet etwas, dass sie „pan-progressive Proteste“ nennt. Aber was als subversive Musik beginnt, muss diesen widerständigen Charakter nicht behalten: Ob für Werbung, bei Corona-Protesten oder sogar als Genre beim Rechtsrock: Musik ist für vieles anschlussfähig.

Wenn ihr jetzt auf den Geschmack gekommen seid und noch mehr Protestsongs hören wollt: Die folgenden Lieder stehen auf der Playlist Iran von Naika Foroutan oder haben uns bei der Vorbereitung des Podcasts begleitet:
Shervin Hajipour: „Baraye“
Toomaj Salehi: „Soorakh Moosh“
Gola Ardestani „Hagham-e“
Ali Azimi / Golshifte Farahani: „Marze Por Gohar“
Yashgin Kyäni: „Bella Ciao“
James Brown: “Say it loud (I’m Black and I’m Proud)”
Victor Jara: “Derecho de vivir en paz“
Joan Baez: Bread and Roses”
N.W.A. “Fuk da Police”

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Host: Pia Masurczak
Redaktion: Pia Masurczak und Giordana Marsilio

Iran-Proteste Songs der iranischen Freiheits- und Protestbewegung

Bereits seit dem 16. September 2022 finden im Iran landesweit Proteste gegen die autoritäre Regierung des Staates statt. Bei der Freiheits- und Protestbewegung spielt Musik eine wichtige Rolle. In diesem Kontext sind auf dieser Seite Songs der Bewegung mit Erläuterung und Übersetzung zu finden.

Iran

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. "Frauen, Leben, Freiheit": Schreibt der Iran gerade feministische Weltgeschichte?

Eine junge Frau ohne Kopftuch, die auf dem Dach eines Autos steht und „Tod dem Diktator“ ruft. Zwei Frauen, die ohne Kopftuch frühstücken gehen. Frauen, die gegen die allgegenwärtige Sittenpolizei protestieren. Noch vor kurzer Zeit wäre all das im Iran undenkbar gewesen.

Seit etwa zwei Wochen ereignen sich derartige Szenen in der Islamischen Republik immer wieder. Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen wurde und später im Krankhaus starb. Die daraus entstandenen Proteste berühren einen Kernbestandteil der Islamischen Republik: die Pflicht für Frauen, ein Kopftuch zu tragen.

Schreiben die Frauen im Iran gerade feministische Weltgeschichte? „Ja“, sagt die Journalistin Natalie Amiri im SWR2 Podcast „Was geht - was bleibt“. „Denn auf den Straßen stehen Frauen, sie reißen sich das Kopftuch vom Leib, unter dem Beitrag von Männern und Frauen, sie verbrennen ihre Kopftücher, sie widersetzen sich der Sittenpolizei, die sie mehr als 40 Jahre lang diskriminiert hat, beleidigt, beschimpft, verhaftet und in Mini-Busse gezerrt und sie fertig gemacht hat. Die Frauen, die jetzt sagen: Wir machen nicht mehr mit.

Aber – so Amiri – das Regime schlage hart zurück. Die Frauen im Iran litten seit mehr als 43 Jahren, „ich habe nie so willensstarke Frauen wie die im Iran gesehen“, sagt Natalie Amiri. Feminist*innen auf der ganzen Welt sollten sich noch weitaus mehr mit den Frauen im Iran solidarisieren, ein Kopftuchverbot zum Beispiel in Deutschland lehnt Amiri jedoch ab: „Wenn wir hier in der Demokratie, in Freiheit Frauen verbieten Kopftücher zu tragen, wären wir nicht viel besser als die Islamische Republik.“

Die Politologin und Aktivistin Emilia Roig sieht die iranischen Proteste im Kontext eines weltweiten Feminismus: „Der Protest zeigt, wie tödlich das Patriarchat im Iran ist. “Auch in Deutschland gebe es Gewalt gegen Frauen, so Roig: „Alle drei Tage wird hier eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.“ Man müsse das Patriarchat „jeden Tag verlernen“, „wir müssen die unterlegene Position der Frauen verlernen und auch die binäre Geschlechtsordnung.“

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Host: Philine Sauvageot
Redaktion: Philine Sauvageot und Daniel Stender