300 Jahre Musik in Karlsruhe – Teil 12

Herbert Joos - Virtuoser Lyriker

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Einer der bedeutendsten Musiker des modernen deutschen Jazz kommt aus Karlsruhe: der Trompeter Herbert Joos. Auf zahlreichen eigenen Platten und als langjähriger Solist des Vienna Art Orchestra hat er einen charakteristischen Sound zwischen Freiheit und Lyrik entwickelt. Im März 2015 ist er 75 geworden. Seit Jahrzehnten lebt und arbeitet er in Stuttgart. Odilo Clausnitzer hat sich auf die Spuren seiner Anfänge in Karlsruhe begeben.

Karlsruhe als Zentrum des avantgardistischen Jazz

Ende der 1960er Jahre war es, da war Karlsruhe ein Zentrum des avantgardistischen Jazz in Deutschland, jenes neuen Jazz, der sich entschieden von US-amerikanischen Vorbildern abkoppelte. Diese Band trug ihre Heimatstadt stolz im Namen: Das "Modern Jazz Quintet Karlsruhe"

Mastermind des "Modern Jazz Quintet Karlsruhe" war der Trompeter Herbert Joos - die treibende Kraft hinter der musikalischen Selbstfindung der Band.

Plakatmaler und Amateurmusiker

Das Besondere am Modern Jazz Quintet Karlsruhe: es war im Grunde eine Amateurcombo. Alle Bandmitglieder gingen zum Geldverdienen anderen Berufen nach. Neben Herbert Joos waren es Wilfried Eichhorn, Saxofon, Helmut Zimmer, Klavier, Claus Bühler, Bass und Rudi Theilmann, Schlagzeug. Herbert Joos verdingte sich damals als Plakatmaler. Auch später hat er immer parallel als Grafiker und bildender Künstler gearbeitet. Aber als einziger der fünf Karlsruher Modernisten wollte und schaffte er den Sprung ins musikalische Profilager.

Jammen mit den Free Jazz Revolutionären

Die Musik der Badener war zum Teil durchaus wild und energetisch und überschnitt sich darin mit den Ideen der radikalen Free Jazz Revolutionäre um Peter Brötzmann und Co.. Aber die Karlsruher waren ein eigener Schlag; es ging ihnen nicht, wie den Berliner und Wuppertaler Kollegen, vorrangig um "Powerplay", sondern auch um die vielfältige Arbeit mit Klangfarben, und selbst konventioneller Swing war nicht Tabu.

Als 1971 der Kontrabassist das Modern Jazz Quintett Karlsruhe verließ, nannten sich die verbliebenen vier Musiker "Four Men Only". Zwei LPs veröffentlichten sie - heute teure antiquarische Sammlerstücke.

Lust am Experiment

Anfang der 1970er Jahre ging Herbert Joos nach Stuttgart, und hier nahm seine Solokarriere ihren Lauf. Joos wurde zu einem der profiliertesten Stilisten des Deutschen Jazz. Ein Musiker, bei dem sich die Lust am Experiment mit einem tiefen Sinn für Lyrik paarte. Für seine erste LP unter eigenem Namen schuf er im Alleingang per Mehrspurverfahren faszinierende Klanglandschaften. Autodidaktisch eignete er sich die Arrangierfähigkeiten an, mit denen er ein ganzes Album für Streichorchester und Jazzsolist schrieb – bis heute eine der originellsten Arbeiten auf diesem Gebiet. Joos sagt schlicht: "Das ist das Beste, was ich je gemacht habe."

Ein Romantiker mit Sinn fürs schmerzlich Herbe

Ende der 1970er Jahre wird Herbert Joos zur tragenden Säule des Vienna Art Orchestra, des über Jahrzehnte vielleicht wichtigsten Großensembles des zeitgenössischen europäischen Jazz, und er bleibt es über 20 Jahre lang. Er veröffentlicht Balladenalben, einen Tribut an die große Jazzsängerin Billie Holiday, Soloeinspielungen, auf denen er seine Trompetentöne mit Geräuschen aus der Natur koppelt. Immer wieder nimmt in seiner Musik das Melancholische und Verhangene, immer wieder nehmen darin auch Ruhe und Stille einen besonderen Platz ein. Herbert Joos, der dieses Jahr 75 wurde, ist im Herzen ein Romantiker geblieben. Ein Romantiker mit Sinn fürs schmerzlich Herbe, ein lyrischer Freigeist, ein Meister der Atmosphäre.

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AUTOR/IN
SWR