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Der Fahrradboom und seine Folgen – Radler verändern den Verkehr

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Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster
Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum (Foto: SWR, Privat)
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

In den vergangenen zehn Jahren hat sich in deutschen Großstädten der Anteil der Radfahrer verdoppelt. Die Infrastruktur in den Städten ist damit jedoch überfordert.

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Staus, Drängeln, Stellplatzmangel - viele Ärgernisse der automobilen Gesellschaft finden sich auch bei Radfahrern. Andererseits ist jeder Autofahrer, der aufs Rad umsteigt, ein Gewinn für die Umwelt. Stadtplaner und Verkehrswissenschaftler fordern dringend eine neue Mobilitätsdebatte.

Elterntaxi statt Fahrrad

Eine aktuelle Studie des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs –ADFC- hat es wieder einmal gezeigt: Viele Radfahrer fühlen sich unsicher im Verkehr. Radfahren ist oft mit großen Risiken verbunden, vor allem in Städten. 2016 benoteten die Befragten ihre Fahrstrecke noch mit einer 3 Minus. Bei der jetzigen Untersuchung sackte das Sicherheitsgefühl um eine Note auf 4 Minus ab.

Der ADFC führt die schlechten Ergebnisse vor allem auf viel zu schmale Radwege und die häufig fehlende Trennung von Rad- und Autoverkehr zurück. Für fast alle Befragten ist es nämlich wichtig oder sogar sehr wichtig, vom Autoverkehr getrennt zu sein.

Damit ihre Kinder sicher zur Schule kommen, setzen Eltern auch bei kurzen Distanzen oft noch auf das Elterntaxi. Das Fahrrad wird nicht immer als Alternative zum Auto wahrgenommen. „Zu gefährlich“, denken viele Eltern.

Vor dem eingezäunten Grundschulgelände parken Autos kreuz und quer (Foto: SWR, SWR -)
Mit dem Elterntaxi unterwegs. Das ist für viele Kinder zur Selbstverständlichkeit geworden.

Training für mehr Sicherheit im Radverkehr

Dabei sind sich die Expertinnen und Experten einig: Gerade die fehlende Erfahrung im Straßenverkehr ist einer der größten Risikofaktoren für Kinder und Jugendliche. Radfahren üben sollte daher ein zentraler Baustein in der schulischen Verkehrs- und Mobilitätserziehung sein. An der Deutschen Sporthochschule in Köln läuft seit gut drei Jahren in Zusammenarbeit mit mehreren Grundschulen ein Projekt, das Radfahren sicherer machen soll: das Modellprojekt Radfahren in der Schule. Nun wird das Projekt auch für Sekundarstufen angeboten.

Zahl getöteter Radfahrer steigt

Wie nötig solch ein Sicherheitstraining gerade für Kinder ist, zeigt die Untersuchung auch: Drei Viertel, also 75 Prozent der Befragten, lassen Kinder nur mit schlechtem Gefühl allein mit dem Rad fahren. In den Großstädten sind es sogar 85 Prozent. Und die Unfallstatistik des Statistischen Bundesamtes gibt besorgten Eltern Recht. Die Zahl der im Verkehr getöteten Radfahrer stieg im Vergleich zum Vorjahr um fast 15 Prozent an.
Attraktiver wird der Radverkehr, wenn er Platz hat und sicher ist. Das bedeutet aber auch: Andere Verkehrsteilnehmer müssen weichen. Das Ringen um Raum ist darum in vollem Gange.

Bedeutung der Infrastruktur

Laut "Deutschem Mobilitätspanel", einer Untersuchung des Karlsruher Instituts für Technologie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums, werden bundesweit nach wie vor über die Hälfte aller Wege mit dem PKW zurückgelegt, gut 21 Prozent zu Fuß und rund 13 Prozent mit dem Fahrrad. Der Radverkehr wächst vor allem in den urbanen Ballungsräumen.

Um die Bedeutung der jeweiligen Infrastruktur für den Radverkehr zu ermitteln, befragten Wissenschaftler 160 Radexperten, Verkehrsplaner und Fahrradkuriere. Ergebnis: eine Rangfolge von fünf Infrastrukturmerkmalen. Auf Platz eins – wenig überraschend - die grundsätzliche Existenz von Radwegen bzw. Radfahrstreifen. Auf Platz zwei - die Anzahl der Kreuzungen. Es folgen der Anteil der Grünflächen, Miet- und Verleihangebote. Und schließlich die Präsenz von Fahrrad- und Reparaturläden.

Akademie fürs Fahrradfahren

Regelmäßig veranstaltet das Difu, das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin, an seiner Fahrradakademie "Webinare", das sind Online-Seminare rund um' s Thema Radverkehr. Fast 30 Vertreter aus den Kommunen sitzen vor ihren Büro-Bildschirmen und folgen den Ausführungen des Referenten. Fragen werden schriftlich im Chat gestellt.

Experten schätzen, dass bis zu neun Prozent aller Lieferverkehre künftig von Lastenrädern mit oder ohne E-Antrieb übernommen werden könnten. Das erfordert eine entsprechende Infrastruktur. Denn auf den Radwegen könnte es eng werden, wenn die Zahl muskelbetriebener Lieferfahrzeuge zunimmt. Spannende Zeiten also für städtische Verkehrsplaner, sagt Sebastian Bührmann, der seit rund sechs Jahren die Fahrradakademie am Difu leitet.

E-Bikes und Pedelecs liegen derzeit im Trend

Die Mobilität der Zukunft ist für Forscher und Planer eine Rechnung mit einigen Unbekannten. Grundproblem Nummer eins ist der beschränkte Platz bei immer mobiler werdenden Menschen. Und: autonomes Fahren und die Elektromobilität sind Entwicklungen, deren Folgen noch nicht absehbar sind.

Auch das Pedelec sorgt für zusätzlichen Schwung im Zweirad-Bereich. Diese Elektro-Fahrräder mit einem Antrieb von bis zu 25 Stundenkilometern erweitern den Radius eines herkömmlichen Fahrrads ganz erheblich. Weil das Pedelec schnell ist und das schweißtreibende Strampeln entfällt, wird es auch für Berufspendler interessant.

Im Rahmen einer Studie hat man am Deutschen Institut für Urbanistik, kurz Difu, die Bedingungen für einen Umstieg vom Auto auf's Pedelec getestet. Acht Wochen lang stellten verschiedene Berliner Unternehmen ihren Angestellten ein Pedelec zur Verfügung. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Pendler stieg vom Auto auf das Pedelec um.

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