Mit Lichtgeschwindigkeit funken Satelliten die Uhrzeit zur Erde. Der GPS-Empfänger vergleicht die Zeiten mit der einer eigenen Uhr und kalkuliert daraus, wie lange die Signale unterwegs waren. Der Rest ist Rechnerei. Das Ergebnis ist die eigene Position.
Das Ganze funktioniert nur, wenn die Uhren im Satelliten und im Empfänger genau gleich ticken. Doch hier lauert eine Überraschung. Auch wenn die Techniker die Satellitenuhren auf der Erde vollkommen exakt justieren, ticken sie weit draußen im Weltall schneller als vor dem Start. Kaum merkbar, aber messbar.
Leichtere Schwerkraft
Die Frage, was die GPS-Uhren beschleunigt, beantwortet die Allgemeine Relativitätstheorie. Fehlt die Schwerkraft wie in der Umlaufbahn der GPS-Satelliten, ticken die Uhren schneller. Ist die Schwerkraft groß, wie beispielsweise direkt auf der Erde, ticken die Uhren langsamer. Die Schwerkraft bremst die Uhren.
Alles, was in unserer Welt passiert, geschieht mit einer endlichen, heute messbaren Geschwindigkeit. Auch die Erdanziehungskraft, die Schwerkraft ist nicht einfach da und erfüllt den Raum, sondern sie breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Betrachten Physiker die normale Alltagswelt der kleinen Geschwindigkeiten, also die der Planetenbewegungen, der Satelliten und der Raketen, fällt die schnelle Ausbreitung nicht weiter auf.
Die Schwerkraft ist einfach da, Raum und Zeit sind die Bühne, auf der Mutter Natur das Stück "Physik" inszeniert. Doch wenn man annimmt, dass alles mit einer endlichen Geschwindigkeit passiert, ändert sich die Bühne. Was vorher Requisite war, Zeit und Raum, wird plötzlich zum Akteur, zum Mitspieler, bekommt plötzlich die Hauptrolle.
Theorie im Schatten
Über Jahrzehnte fristete die Allgemeine Relativitätstheorie ein Schattendasein in der Physik. Zwar erklärte sie einige astronomische Phänomene wie beispielsweise Abweichungen der Merkurbahn. Oder die Beobachtung der britischen Astronomen Arthur Stanley Eddington und Frank Dyson zur Sonnenfinsternis von 1919, dass die Sonne das Licht von Fixsternen ablenkt.

Aber anders als die Quantenmechanik rüttelte sie nicht am Weltbild der Menschen. Und ebenfalls anders als die Elektrodynamik führte sie über ein halbes Jahrhundert zu keinen praktischen Anwendungen. Die Allgemeine Relativitätstheorie taugte allein, mehr oder minder klug über Zeit und Raum zu spekulieren.
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig ist eine Behörde, organisatorisch dem Wirtschaftsministerium nachgeordnet, das mit dem "Gesetz über die Einheiten im Messwesen und die Zeitbestimmung" bestimmt, wie lang eine Sekunde in Deutschland ist.
Wie lang ist die Sekunde heute?
Die Physikalisch-technische Bundesanstalt betreibt Atomuhren, die diese gesetzlich festgelegten Sekunden bis auf die sechzehnte Stelle nach dem Komma genau produzieren und über einen Langwellensender bei Frankfurt am Main an alle Funkuhren des Landes verteilen. In Braunschweig befindet sich eine Uhr, die dermaßen exakt die Zeit misst, dass sich mit ihr messen lässt, wie sie schneller tickt, wenn man sie zehn Zentimeter anhebt. Das Ziel: den Erdvermessern ein Instrument zur Höhenmessung in die Hand zu geben.
Ian Leroux zeigt in Braunschweig auf ein messingfarbenes Gehäuse, das an einen Taucherhelm aus vergangenen Zeiten erinnert. Darin seien zwei einzelne Calcium-Atome gefangen, erklärt er. Eines davon würde später durch Aluminium ersetzt werden. Dieses Atom würden die Forscher dann mit einem Laser bestrahlen und so mit Energie aufpumpen.
Mit einem zweiten, absolut exakten Laser würden sie anschließend das aufgepumpte Atom bestrahlen. Wenn das Atom den Laserstrahl absorbierte, sozusagen in sich hinein verschlinge, dann könnten die Forscher mit einigen komplizieren Tricks die Frequenz des Exakt-Lasers messen. Und die Frequenz, das regelmäßige Hin und Her, ist nichts anderes als die Schwingungen eines Pendels an der guten, alten Kuckucksuhr. Nur dass diese Uhr hier viel, sehr viel genauer läuft. Diese Uhr hier, sagt Ian Leroux, wird einmal die Träume von Geodäten wahr machen.
Höhenmessung per Zeitverschiebung
Man lupft die Uhr ein paar Zentimeter, die Schwerkraft wird geringer, die Uhr geht schneller. Die Atomuhr wird bis auf die 18te Stelle hinterm Komma genau gehen und kann zehn Zentimeter Höhenunterschied messen. Zehn Zentimeter. Am oberen Rand eines Kaffeebechers tickt die Uhr anders als unten. Oben am Kugelschreiber läuft die Zeit schneller als unten.
Selbst vor dem menschlichen Körper machen solche Zeitverschiebungen nicht halt. Auf der Oberseite des Gehirns, wo Forscher die höheren geistigen Funktionen lokalisieren, tickt die Sekunde kürzer, die Zeit schneller als weiter unten, wo die Wissenschaftler Zentren des Gefühlslebens finden.
Eines Tages wird die Uhr Phänomene messen, von denen ein Laie oft nicht einmal eine Ahnung hat, dass es sie gibt. Zum Beispiel die Festlandsgezeiten. Wenn der Mond über das Meer zieht, nimmt seine Schwerkraft eine Wasserwelle mit, die Urlauber an der Nordseeküste beispielweise als Ebbe und Flut erleben.
Gezeiten zu Land
Zieht der Mond übers Festland wie der Rheinebene oder den Alpen hinweg, hebt er nicht nur das Wasser dort, sondern den ganzen Boden an. Das wird man mit seiner Uhr messen können, erklärt Ian Leroux. Diese Uhren messen die Zeit so genau, dass sie, hochgerechnet auf das Alter des Universums, gerade eine halbe Sekunde danebenliegen würden.
Bisher messen Seismometer die Erdbeben, die das unterirdisch zusammenlaufende, flüssigheiße Magma auslöst. Abstandsmesser messen die Verformungen des Bergs und lassen Rückschlüsse auf den inneren Druck zu. Thermometer messen die Temperatur. Wann der Berg tatsächlich ausbrechen wird, sagen diese Daten aber nicht. Geschweige denn, wie viel Lava er spucken, wie viel Asche er in die Atmosphäre pusten wird.
Das zusammenlaufende Magma ändert jedoch nicht nur die Bodentemperatur. Wie alle Materie verändert sie auch die lokale Schwerkraft der Erde. Eine hochgenaue Uhr der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt kann diese Veränderungen messen und sagen, wie viel Magma sich unsichtbar zusammenbraut, wie stark der Ausbruch wird.
Eines Tages, sagt Ian Leroux, wird die Uhr transportabel sein und deutet aus dem Fenster seines Labors. Auf dem Parkplatz vor dem Haus steht ein Anhänger, groß wie ein rollender Schnellimbiss. Dort soll die Apparatur einmal rein, wenn sie praxistauglich funktioniert.