„Experimente sind notwendig, um seine eigenen Voraussetzungen zu hinterfragen.“ Der US-amerikanische Komponist Alvin Curran steht mit dieser Haltung durchaus in der wissenschaftlichen Tradition des Experiments: Ein Experiment ist ein Wagnis, ein Unternehmen, das auch schief gehen kann, d. h. Erwartungen können sich erfüllen oder auch enttäuscht werden. Der Mut zum musikalischen Versuchsaufbau mit offenem Ausgang findet sich zunächst vor allem in der nordamerikanischen
Musik des 20. Jahrhunderts. Henry Cowell (1897– 1965) kann als Vater der experimentellen Musik gelten. Für John Cage war die Unvorhersehbarkeit von Musik Grundlage seiner kompositorischen Ästhetik, formuliert u. a. in seinem Text History of Experimental Music in the United States (1958). Die Einbeziehung des Zufalls (Aleatorik) und Offene Formen waren vor allem in den 1960er Jahren auch für europäische Komponisten attraktiv. Experimentell in diesem Sinne komponierten u. a. Dieter Schnebel, Luciano Berio, Henri Pousseur.
Alvin Lucier verwandte für seine musikalischen Experimente seit den 1960er Jahren Erkenntnisse und Geräte aus physikalischen oder psychoakustischen Zusammenhängen – eine Richtung der experimentellen
Musik, die vor allem durch Vertreter der sogenannten Klangkunst fortgesetzt wurde (Richard Teitelbaum, Bernhard Leitner, Lynn Pook, hans w. koch, Lara Stanic u. a.). Die elektroakustische Musik basiert vielfach auf technischen Experimenten, was Bezeichnungen wie „Experimentalstudio für akustische Kunst“ selbstbewusst formulieren. Aber auch veränderte Bedingungen und Kontexte für die Aufführungen von Musik führen zu Unvorhersehbarem: Ein zeitgenössisches Stück, das mitten in einem klassischen Werk auftaucht, oder ein Festival, das in einem belebten Einkaufszentrum oder in Containern stattfindet, experimentieren mit gewohnten Wahrnehmungsmustern. In dem umfassenden Sinne, dass Hörerwartungen immer auch enttäuscht, überrascht und in Frage gestellt werden können und sollen, ist Neue Musik vielfach und vielleicht grundsätzlich Experiment.