JetztMusik - Glossar

Minimal Music

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Man spiele die Quinte h – fis für eine lange Zeit. Ob man dies allein auf dem Klavier oder dem Cello tun soll oder zu zweit im Blockflötenduett, das ist für die Aufführung von La Monte Youngs Composition 1960 #7 egal. Weiter reduzieren ließe sich das musikalische Material noch auf einen Ton. Das tat Gerhard Rühm mit seinem eintonstück für Klavier schon 1952 (inklusive aller a-Oktaven). Die Symphonie monoton – Silence (1947–1961) für Orchester des Künstlers Yves Klein besteht aus einem zwanzigminütigen D-Dur-Akkord.

All das ist zweifellos minimale Musik, maximale musikalische Reduktion, aber wohl kaum Minimal Music. Denn hierunter verstehen die meisten eine US-amerikanische Musik mit zahlreichen Wiederholungen in Variationen (plus deutlichem Puls und
einer meist tonalen Harmonik). So besteht Terry Rileys In C (1964), das vielen als Mutterwerk der Minimal Music gilt, aus 53 kurzen Tonkonstellationen. Jeder an der Aufführung beteiligte Musiker beginnt mit der ersten Figur, wiederholt sie, solange er will, wechselt dann zur zweiten usw., arbeitet sich so ganz selbstständig durchs Stück.

Komponisten wie Steve Reich, Philipp Glass und John Adams, ebenfalls Pioniere der Minimal Music, fanden jeweils andere individuelle Lösungen im Umgang mit pulsierenden Wiederholungen und Patterns, Reduktionen, Phasenverschiebungen und Kanontechniken. Manche Werkkonzeptionen tendieren eher zur Meditation und Kontemplation (mitunter wird Minimal Music als Kontemplative bzw. Meditative Musik bezeichnet), andere präsentieren sich als bewusst transparent gestaltete Satztechniken,
um den Hörern die komponierten Veränderungsprozesse deutlich zu machen. Eine einheitliche Minimal Music-Ästhetik gibt es nicht. Längst bezeichnen sich die Protagonisten auch nicht mehr als Minimalisten. Blütezeit der Minimal Music waren die 1970er Jahre, während derer auch der Begriff Minimal Music entstand – analog zu dem der US-amerikanischen Minimal Art der 1960/70er Jahre, die im visuellen Bereich mit reduziertem Material arbeitete (Monochromie, Wiederholung, industriell gefertigten Objekte wie Leuchtstoffröhren, Fiberglaskuben). Der amerikanische Kunstkritiker Richard Wollheim prägte 1965 den
Begriff Minimal Art. Spuren der bis heute überaus populären Minimal Music, die weitestgehend tonale Harmoniestrukturen benutzt, finden sich in der Popmusik, etwa im Techno-Bereich, und im weiten Spektrum der Filmmusik. Philipp Glass komponierte etliche Filmmusiken, z. B. zu Kundun (1997) von Martin Scorsese; Michael Nyman, neben Louis Andriessen der bekannteste europäische Minimalist, komponierte die Musiken zu Filmen von u. a. Peter Greenaway, Volker Schlöndorff und zu The Piano (1992) von Jane Campion.

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AUTOR/IN
SWR