JetztMusik - Glossar

Offene Form

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„Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“ Nicht nur der Komponist Dieter Schnebel zitiert oft und gern diesen Aufruf Theodor W. Adornos aus dessen Darmstädter Vortrag Vers une
musique informelle (1961). Er könnte für eine ganze Bewegung stehen, eine Gegen-Bewegung zu den Versuchen größtmöglicher
Festlegung der kompositorischen Parameter, wie sie dem Serialismus zu Grunde lagen. Zu den eindeutigen, geschlossenen Werkformen traten im Laufe der 1950er und 1960er Jahre vielfältige andere Konzepte.

Earle Browns kompositorischer Entwurf December 52 for one or more instruments or sound-producing media (aus dem Zyklus Folio, 1952/53) wurde zum Meilenstein einer Musik, die erst im Moment ihrer Aufführung und unter maßgeblicher Mitwirkung
ihrer Interpreten konkrete Form erhält. In anderen Kompositionen (u. a. von John Cage oder Luciano Berio) sind es bestimmte Aspekte, die frei interpretiert werden können, z. B. die Dauern der einzelnen Noten.

In verschiedenen Kompositionen von Henri Pousseur (z. B. Scambi, 1957) oder Karlheinz Stockhausen (Klavierstück XI, 1956) entscheidet der Interpret über die Reihenfolge bestimmter komponierter Abschnitte – hier liegt die „Offenheit“ der Form in kombinatorischen Möglichkeiten. Insofern der Komponist strukturelle Aspekte seiner Musik mehr oder minder dem Zufall überlässt, gehen die Begriffe Offene Form und Aleatorik ineinander über.

Eine theoretische Basis dieser Verfahren lieferte Umberto Eco in seinem 1962 erschienenen Buch Opera aperta (deutsch: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973). Eine erste grundlegende Darstellung aus musikalischer Perspektive: Konrad
Boehmer, Zur Theorie der offenen Form in der Neuen Musik, Darmstadt: Tonos 1967.

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SWR