Orchesterlandschaft

Musiker*innen leben beruflich in Zweiklassen-Gesellschaft

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Freischaffende oder abhängige Musikarbeit entscheidet meist über die soziale Lage von Musiker*innen. Der Siegeszug festangestellter Musiker*innen wurde nun wissenschaftlich untersucht.

Selbstverwaltete Orchester gibt es in Deutschland nicht erst seit den 1970er-Jahren, und das Berufsfeld von Musiker*innen ist in Deutschland zu einer Zweiklassengesellschaft geworden. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer Studie zur Orchesterlandschaft, welche die Interessensvereinigung Freier Orchester, FREO, am 15. November in Berlin präsentierte. Die Studie „Die deutsche Orchesterlandschaft. Kulturförderung, Interessenorganisation und Arbeitsbedingungen seit 1900“ untersuchte dabei die Entwicklung und den Status quo der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, unter denen freie Ensembles und Orchester heute ihrer Arbeit nachgehen.

Konzert des Ensemble Modern bei den Donaueschinger Musiktagen 2018 (Foto: SWR)
Auch Gegenstand der Studie: das Ensemble Modern, das 75 Prozent seines Budgets selbst einspielen muss.

Demnach ist die Kluft zwischen abhängig Beschäftigten und Freischaffenden im Laufe des letzten Jahrhunderts größer geworden. Als Grund nennt die Studie die starke Interessensvertretung der festangestellten Musiker*innen in den staatsnahen und überwiegend öffentlich finanzierten Orchestern. Arbeitsbedingungen, Verdienst und soziale Absicherung dieser abhängig Beschäftigten haben sich hier stetig verbessert. Diese Arbeitnehmervertretung fehlt naturgemäß den freien Orchestern und Ensembles, die sich zudem selbst um ihre Finanzierung kümmern müssen.

„Die Studie belegt: in der deutschen Orchesterlandschaft herrscht ein Zweiklassensystem, in dem selbstständige Musiker*innen in einem selbstverwalteten freien Ensemble oder Orchester schlechter sozial abgesichert sind als abhängig beschäftigte Kolleginnen und Kollegen. Hier besteht dringend politischer Handlungsbedarf.“

Abgrenzung zum orchestralen Establishment

Die Gründungen staatsferner Orchester in 1970er und 80er-Jahren wie des Ensemble Modern und des Freiburger Barockorchesters stehen laut Studie als Modell für "eine bewusste Abgrenzung zum orchestralen Establishment." Allerdings ist dies kein Phänomen der letzen 50 Jahre. Das Konzept von selbstverwalteten Ensembles und Orchestern "mit breitem ästhetischem Spektrum" fand demnach bereits am Anfang der Entwicklung der heutigen Orchesterlandschaft seit 1900 weite Verbreitung.

"Sie arbeiteten projektweise und dachten dabei nicht an Doppeldienste, Saitengeld und Überstundenausgleich."

Die Interessensvereinigung Freier Orchester

Der Verein "FREO – Freie Ensembles und Orchester in Deutschland" ist die Vereinigung der unternehmerisch organisierten professionellen Ensembles und Orchester in Deutschland und wurde 2018 von Ensemble Modern, ensemble mosaik, Ensemble Musikfabrik NRW, Ensemble Recherche, Ensemble Resonanz, Freiburger Barockorchester, Kammerakademie Potsdam, Mahler Chamber Orchestra und Solistenensemble Kaleidoskop gegründet. Laut Eigenangabe bilden diese Klangkörper "modellhafte Organisationen, in denen die Musiker*innen ihre berufliche Wirklichkeit als Unternehmer*innen selbst gestalten".

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SWR