DVD-Tipp

„Woolf Works“ - Eine Ballettkonzeption zur Literatur von Virginia Woolf

Stand
AUTOR/IN
Nicole Strecker
KÜNSTLER/IN
Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden

2015 beschlossen zwei Stars ihrer Genres der britischen Autorin Virginia Woolf einen Ballettabend zu widmen: Der britische Choreograf Wayne McGregor und der aus Hameln kommende, in London und Berlin lebende Komponist Max Richter. Ihre vor vier Jahren uraufgeführte Produktion „Woolf Works“ bekam den renommierten Laurence Olivier Award für das beste Tanzstück. Jetzt ist bei Opus Arte eine DVD mit den „Woolf Works“ erschienen.

Audio herunterladen (10,2 MB | MP3)

Keine Schriftstellerin vor ihr hat ihren literarischen Figuren so tief ins Hirn geschaut, hat den Strom aus Erinnerungen und Wahrnehmungen so sensibel in Worte gefasst wie Virginia Woolf. Sie fand eine Sprache und eine Form für das Intimste des Menschen: seine Gedanken.

So Komponist Max Richter im Bonusmaterial der DVD.

Intellektuell und ästhetisch absolut überzeugend

Vor ein paar Jahren beschlossen Richter und der britische Choreograf Wayne McGregor, sie beide seien die richtigen Männer, um dem Idol des Feminismus und der Ikone der modernen Literatur eine Hommage zu widmen. Trotz skeptischer Stimmen nach der Uraufführung: Die Version auf der DVD ist intellektuell wie ästhetisch absolut überzeugend, obwohl es eine ziemliche Überraschung ist, dass sich ausgerechnet Wayne McGregor, das naturwissenschaftliche Superhirn der Tanz-Branche, für eine Heilige der Belletristik interessiert. Der Hauschoreograf des Royal Ballet hat schon mit Neurobiologen, Genetikern und Robotik-Experten zusammengearbeitet und seine Tänzer sehen in der Regel aus wie Geschöpfe von einer fernen Galaxie: herumstaksende Hohlkreuz-Kreaturen, aggressive Spitzenschuh-Amazonen. So waren seine Stücke bis dahin eher coole Forschungsprojekte als sensible Seelenporträts. Mit seinen „Woolf Works“ hat McGregor bewiesen: Er kann auch anders, zumindest, wenn er die richtige Solistin dafür findet.

Erster Akt: Virginia Woolfs Roman „Mrs Dalloway“. Behutsam probiert eine einsame Ballerina auf Spitzenschuhen ein paar Schritte, eine Pose, hält inne als suche sie nach einem Gedanken. Es ist die grandiose Tänzerin Alessandra Ferri, McGregors Wunschbesetzung.

Die über 50jährige Star-Ballerina Ferri ist das Zentrum der Choreografie. Sie verkörpert Virginia Woolf und zugleich einige ihrer Figuren, wie etwa die von ihren Erinnerungen heimgesuchte Mrs Dalloway. Und es ist tatsächlich so, als führten sie ihre sanften Bewegungen weit in die Vergangenheit zurück. In der Komposition von Max Richter erklingt der Glockenschlag von Big Ben. Andere Tänzer treten aus dem Schatten der Bühne, zwei junge Frauen, die sich in einem Duo flirtend umkreisen, bis es zu einem ersten scheuen Kuss kommt. Dann der Auftritt des kriegstraumatisierten Soldaten aus Woolfs Roman. Er wird von einem jüngeren Alter ego verfolgt wie die Verkörperung von Angst und Verzweiflung, und die Komposition von Max Richter rhythmisiert ein dumpfes Donnern, wie das Grollen eines fernen Gefechts.

Für den Wechsel zwischen Erinnerung und Gegenwart, also eben jenem Bewusstseinsstrom, der Woolfs Schreiben auszeichnet, mussten Choreograf und Komponist eigene Stilistiken entwickeln, wie Max Richter im Bonusmaterial betont.

Melodiefolgen wiederholen sich wie Echos. Unter repetitiven Mustern liegen andere Klangschichten, die aus dem Barock oder der Romantik zu kommen scheinen. Dann wieder blubbern und flirren Sounds wie aus einer fernen Zukunft.

Virginia Woolf überlistet den eindimensionalen Lauf der Zeit

Zwei Jahre lang arbeitete Max Richter an der Komposition für dieses Großprojekt, das gleich drei Romanen von Virginia Woolf gewidmet ist, „Mrs Dalloway“, „Orlando“ und schließlich „Die Wellen“. So taumelt man durch die Zeiten, Stile und Geschichten taumelt als wäre man in ein Wurmloch im All geraten. Virginia Woolf hat den eindimensionalen Lauf der Zeit überlistet. Die „Woolf Works“ von Richter und McGregor zeigen: Das können Musik und Ballett auch, und es ist nur logisch dass man dieses Werk auf einem Medium wie DVD festhält, der Zeit enthoben und endlos wiederholbar. Eine immer wieder abspielbare Verneigung vor einer derzeit viel zu wenig beachteten großen Autorin. Und die Schönheit und Gedankentiefe dieses Ballett-Triptychons kann man ohnehin nicht beim einmaligen Anschauen erschließen.

DVD-Tipp vom 02.05.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik

Stand
AUTOR/IN
Nicole Strecker
KÜNSTLER/IN
Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden