Kommentar

Wird Beethoven jetzt die männliche Mayer? Kein Konzert ohne Komponistin!

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Albrecht Selge
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Sebastian Kiefl

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin hat sich etwas vorgenommen, was aufhorchen lässt: In der kommenden Saison will das DSO, das vom Deutschlandradio, dem rbb sowie dem Bund und dem Land Berlin getragen wird, in jedem Konzert mindestens ein Werk einer Komponistin spielen.

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Männerdomäne bekommt langsam Gesellschaft

„Lieben Sie Smyth?“ Kennen Sie diesen berühmten Film? Oder hatten Sie schon mal den Ohrwurm „I like Farrenc“? Ach nein, „I like Chopin“ heißt der Song, und der Film „Lieben Sie Brahms?“. Nach den Komponistinnen Ethel Smyth und Louise Farrenc sind keine Filmklassiker und Pop-Evergreens benannt. 

Erfolgreiche Musikerinnen gibt es mittlerweile viele und auch die früher rare Spezies der Dirigentinnen hat sich erfreulich vermehrt. Aber Komponistinnen haben in unseren Konzertprogrammen noch immer Seltenheitswert, sofern es nicht gerade zeitgenössische Musik ist, da sieht es zum Glück anders aus. Der Klassik-Kanon aber ist nach wie vor Männerdomäne.

Ehrgeiz ist gefragt

Hat es einfach keine Komponistinnen gegeben oder durften begabte Frauen nicht, was sie gekonnt hätten? Von wegen. Das Deutsche Symphonie Orchester Berlin zeigt mit seinem ehrgeizigen Plan, in jedem Konzert mindestens ein Werk einer Komponistin zu spielen, was alles möglich ist und was sich auch andere Orchester vornehmen könnten. 

Natürlich gibt es Pionierinnen, auf deren Arbeit so ein Plan überhaupt erst aufbauen kann. Zum Beispiel besteht seit über vierzig Jahren in Frankfurt das Archiv Frau und Musik, das weltweit größte seiner Art. Das Team des Archivs bietet, neben dem Stöbern in seiner einzigartigen Sammlung, übrigens auch konkrete Unterstützung bei der Planung von Konzertprogrammen an. Also, keine Ausreden sind mehr möglich: Es gibt komponierende Frauen, es gab sie schon immer!

Wütende Männer

Das Vorhaben des DSO hat nun viel Zuspruch gefunden, aber auch die heutzutage unvermeidlichen Shitstorms hervorgerufen. Daniel, Markus und Jochen sind wütend. So heißen einige der Facebook-Nutzer, die teilweise nicht davor zurückschrecken, die musikalische Frauenquote mit den Bücherverbrennungen der Nazis zu vergleichen.

Dabei wird kein Beethoven gecancelt und kein Strauss ausradiert, sondern es werden Künstlerinnen herausgeholt aus ihrer aufgezwungenen Unsichtbarkeit, oder besser gesagt Unhörbarkeit. 

Bühne frei für den weiblichen Beethoven

Die Platzierung ist ziemlich behutsam. Meistens sind es eher kleinere Werke im, sagen wir, Vorprogramm. Eine ganze Oper von Ethel Smyth immerhin spielte das DSO letztes Jahr schon konzertant. Sehr hörenswerte Symphonien gäbe es zum Beispiel von Komponistinnen wie Louise Farrenc oder Emilie Mayer, die im 19. Jahrhundert als der französische bzw. der weibliche Beethoven gefeiert wurden.

Manches Werk einer Komponistin wird uns gefallen, manches nicht. Aber irgendwann werden wir es als peinlich empfinden, wenn wir die Sinfonien von Robert Schumann oder César Franck kennen, aber nicht die von Mayer und Farrenc. Darum wird ja noch längst kein Facebook-Jochen gezwungen, Beethoven von nun an die männliche Mayer zu nennen. Obwohl die Idee was hätte...

Der Beginn einer wunderbaren Reise

Aber im Ernst: Gerade öffentlich geförderte Orchester haben den Auftrag, auch, aber eben nicht nur jene Werke aufzuführen, die wir kennen und lieben. Sondern auch die, die wir kennen sollten und lieben könnten. Und werden. Einige zumindest. Freuen wir uns auf die Entdeckungsreise, die gerade erst beginnt!

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