Wie erotisch ist Wagners Werk? Laurence Dreyfus erforscht das in seinem neuen Roman „Parsifals Verführung“, der allerdings nur bedingt eine Erzählung über Richard Wagners letztes Bühnenwerk ist. Denn eigentlich geht es mehr um Hermann Levi, den jüdischen Dirigenten der Bayreuther Uraufführung von 1882 und sein zwiespältiges Verhältnis zum Bayreuther Meister. Vor allem aber über die Verführungskraft der Musik.
Antisemitische Bombe
Die Szene kennt man so auch aus Barrie Koskys wichtiger Inszenierung von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen. Hermann Levi, der jüdische Uraufführungs-Dirigent des „Parsifal“ wird vom Hofstaat des Komponisten gedemütigt.
„Selbst die Bediensteten schienen höhnisch zu zischeln und sich in einem sonderbaren Ritual der Verachtung verschworen zu haben.“
Wieder mal hat der Meister eine seiner antisemitischen Bomben platzen lassen, in Form eines Briefes, blöder Witze und dem bizarren Gedankengang, ob der jüdische Dirigent denn das allerchristlichste Geheimnis seines letzten Werkes begreifen könne. All das ist historisch überliefert durch die boshaften Seiten in Cosima Wagners Tagebuch und Laurence Dreyfus hat es in seinem Roman „Parsifals Verführung“ nicht erfunden, sondern dokumentarisch literarisiert.
Auch an späterer Stelle, als längst klar ist wie der Rabbinersohn Hermann Levi zum Parteigänger Wagners geworden ist, kehrt der schlechte Humor Wagners in Sachen antisemitischer Spitzen wieder.
Erotische Verführungskraft des Wagnerschen Rauschs
Wie kommt es aber, dass beim einstigen Freund von Johannes Brahms, der beileibe nun kein Befürworter des Bayreuther Festspielwahns ist, die Überwältigungsstrategien Wagners verfangen? Mit einer Rückblendentechnik, die kapitelweise durch die Zeiten vor und zurück springt, kommt der Roman der Sache auf die Spur: Es ist - kaum zu glauben - die erotische Verführungskraft des Wagnerschen Rauschs.
Dieser These folgt Laurence Dreyfus bereits in seiner 2010 erschienenen, raffinierten musikwissenschaftlichen Studie „Wagner and the erotic impulse“. Schon dort macht er klar, dass Wagner und Bayreuth kaum durch den ideologischen Überbau eines nationalistischen Antisemitismus hätten überzeugen können, sondern durch die erotisch geladene Klangdramaturgie in Opern wie dem sündhaften „Tannhäuser“, der verbotenen Liebe von „Tristan und Isolde“, dem Inzest in der „Walküre“ und letztlich dem Kuss der Verführung Kundrys im „Parsifal“.
Doppeldeutiger Sarkasmus
Für Laurence Dreyfus ist seine Hauptfigur Levi nicht denkbar ohne den erotischen Aspekt von Musik. Das Verhältnis zum Hanseaten Brahms ist davon schon nicht frei. So lässt Dreyfus Levi in einen erotischen Traum gleiten, in dem ihn der junge Brahms körperlich verführt. Im Wachzustand kann davon kaum die Rede sein. Demgegenüber gibt sich Wagner mit seiner Vorliebe für seidene Unterwäsche, klangvolle Parfums und langwallende Morgenröcke effeminiert.
Ausgerechnet diese weibliche Seite wird zur atmosphärischen Grundlage, in der der „Parsifal“ überhaupt erst entstehen kann. Und wenn Klingsor von Parsifal singt, er sei schön, der Knabe und Kundry zur Verführung schickt, dann überlegt sich Levi, ob der Zauberer nicht einfach ein jüdischer Päderast sein könnte.
Die Offenheit in solchen Dingen muss Dreyfus‘ Wagner natürlich mit doppeldeutigem Sarkasmus kommentieren, als er Levi solche Neigungen durchaus positiv zugesteht. Schließlich waren ja auch die klassischen Griechen als Vorbilder seiner theatralen Sendung daran nicht uninteressiert: „Aber Als Jude müssten Sie sich dann zwei ziemlich schwere Lasten aufbürden, meinen Sie nicht auch.“
„Aber Als Jude müssten Sie sich dann zwei ziemlich schwere Lasten aufbürden, meinen Sie nicht auch.“
Verführungskraft von Musik, Sexualität und Politik
„Parsifals Verführung“ ist ein Künstlerroman in der Tradition von Romain Rollands „Jean-Christophe“ oder Thomas Manns „Doktor Faustus“, allerdings nicht mit fiktivem, sondern historisch überliefertem Personal. Wenn nach dem Tod Levis seine Frau und Cosima Wagner, die beiden schrecklichen Witwen, die Deutungshoheit seines Dilemma gegenüber dessen ihn liebender Freundin Anna übernehmen, dann zeichnet sich schon jene Höllenfahrt am Horizont ab, auf die schon Thomas Mann seinen Komponisten Leverkühn schicken wird.
Es geht in den Orkus nationalsozialistischer Kunstaneignung. Dieser gelungen reflektierende Roman ist, entgegen des werbenden Klappentexts, allerdings kein „Richard-Wagner-Roman“, sondern auch einer über Levi und Brahms, vor allem aber einer über den Zusammenhang der Verführungskraft von Musik, Sexualität und Politik.
Oper „Der fliegende Holländer“ in Karlsruhe macht viel Wind, erzählt aber wenig
Das Badische Staatstheater pflegt eine lange Aufführungstradition der Werke Richard Wagners. „Der fliegende Holländer“ in der aktuellen Neuproduktion ist zugleich das Debut des neuen Generalmusikdirektors Georg Fritzsch, der Wagner zu einem wichtigen Schwerpunkt seiner Amtszeit erklärt hat. „Die Regie will zu viel und erklärt zu wenig“, findet SWR2 Opernkritiker Bernd Künzig. Von den Stimmen zeigt er sich aber durchaus angetan.