Die „Plattenbosse" in den 70er und 80er Jahren
Früher war die Welt noch in Ordnung: Selbst auf die Besetzungspolitik der Metropolitan Opera in New York hatten die Plattenbosse Einfluss: Pavarotti? – Der tritt natürlich nur mit Joan Sutherland auf: beides DECCA-Künstler. Und Placido Domingo? Na klar: mit Katia Ricciarelli – darauf bestand die EMI. In den 70er und 80er Jahren waren die Platten-Bosse quasi die Alleinherrscher der Musik-Szene: Sie haben Karrieren gemacht, begleitet und – wenn nötig – auch beendet.
Aber wer hat eigentlich heute die Macht in der Klassik? Egal, mit welchem Künstler man redet – alle sagen das Gleiche: Früher war ein Exklusiv-Plattenvertrag quasi eine Lebensversicherung, hat zum Teil über die Hälfte aller Einnahmen ausgemacht. Das hat sich radikal verändert: Von den Verkäufen einer CD lebt lägst niemand mehr. Im Gegenteil: Manche Künstler*innen bringen – etwa für Aufnahmen bei der SONY – noch Kohle mit. Eine Aufnahme – sie dient höchstens noch der Vermarktung, der PR – und ist, wenn man so will: allenfalls „umwegrentabel“.
Neue Geschäftsmodelle für die Labels: Live-Auftritte statt Klang-Konserven
All das hält Plattenlabels nicht davon ab, noch immer mit stolzgeschwellter Brust durch die Klassik-Welt zu schreiten. Und so zu tun, als hätten sich die Zeiten nie geändert. Dabei haben Labels wie die Deutsche Grammophon längst neue Geschäftsmodelle entwickelt und begriffen: das Geld liegt im Live-Auftritt nicht in der Klang-Konserve: sie übernehmen das Künstlermanangement für große Namen: unter anderem für Anna Netrebko oder Rolando Villazón.
Auf jeden Fall an letzterem ist zu sehen, wohin das führt: zum Ausquetschen einer Stimm-Zitrone bis auf den letzten Tropfen. Inzwischen muss Rrrrrrrrrolando nicht einmal mehr selber singen, sondern nur noch CDs mit seinen Lieblingsarien zusammenstellen. Und, mit Verlaub: Jonas Kaufmann, vertreten und promotet von Sony Classical - ist auf einem ähnliche Weg: Italia-, Vienna- und Christmas-Album! Ähnlich wie Villazon nehmen auch bei Kaufmann inzwischen die Absagen auf Grund von Indisponiertheit oder anderen PR-Verpflichtungen zu!
Exklusiv-Deals für Fernseh-Produktionen: ein andauernder Klassik-Kindergarten-Streit
Einige Zeit lang waren es dann die Fernseh-Produzenten, die um neue Macht-Positionen rangen. Allen voran die UNITEL von Leo-Kirch-Freund Jan Mojto. Er hatte schon die Exklusiv-Rechte an Herbert von Karajan und wollte gleiches mit Christian Thielemann durchsetzen. Kein bewegtes Bild des Maestro ohne das Abnicken der UNITEL – und der Deal schien zunächst zu funktionieren: Thielemann im ORF, Thielemann im ZDF, und immer dabei: die UNITEL. Eintönig? und wie!
Die Grammophon zog nach, mit der Video-Plattform „DG Stage“. Und – wie in guten alten Zeiten pocht auch sie auf Exklusivrechte: Pianist Rudolf Buchbinder – ja, aber bitte nur bei uns! Und so spielen UNITEL und Deutsche Grammophon ein Spiel, als wäre die Zeit stehen geblieben: ein andauernder Klassik-Kindergarten-Streit um die Frage, wer denn nun der größte Musik-Bestimmer ist.
„Labels und Produzenten sind so schwach wie nie"
Das wirklich Absurde: All das interessiert schon lange niemanden mehr. Nicht nur, weil Thielemann eben doch kein Karajan ist, sondern, weil auch kein Geld mehr fließt. Die Wahrheit ist: Labels und Produzenten sind so schwach wie nie. Sie machen keine Trends mehr, sondern laufen ihnen höchstens hinterher. Oder: sie programmieren am Publikum vorbei.
Orchester und Künstler*innen produzieren selbst
Die Bayreuther Festspiele haben die Unitel längst rausgeworfen und produzieren inzwischen selber. So wie alle wirklich großen: Egal, ob die Berliner Philharmoniker mit der Digital Concerthall und eigenen CD-Produktionen – ähnlich handhaben es inzwischen viele Orchester, unter anderem Franz Welser-Mösts Cleveland Orchestra – egal ob Opernhäuser wie die MET, Wien oder München mit eignen Streams – die Technik ist so überschaubar geworden, dass selbst sololebständige Künstler*innen wie das Geigen-Duo „The Twiolins“ inzwischen profitabel streamen – um ihre Kosten zu denken, brauchen sie nicht viele zahlende Zuschauer.
Macht-Allüren ohne Macht
All das hält Labels und Produzenten nicht davon ab, ihren „Exklusivkünstler*innen“ Auftritte in freien Produktionen zum Teil zu verbieten – was ihnen langfristig wohl mehr schaden als nützen wird.
Wenn wir in diesen Tagen darüber reden, dass bald nichts mehr sein wird, wie es einmal war – dann hat das auch etwas Gutes: die Macht der Klassik kehrt langsam zurück zu jenen, die gerade die größte Krise ihrer Geschichte durchmachen. Die in Wahrheit aber die eigentliche, neue Macht der Musik sind: zu den Veranstaltern! Derzeit geht es ihnen vielleicht nicht so gut – aber: Kopf hoch! Ihre Zeit wird kommen!