Medien-Tipp

Auf der Suche nach Lust und Romantik: Wagners Tannhäuser auf TikTok

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AUTOR/IN
Julia Rodeland

#opera. Unter diesem Begriff finden sich auf TikTok unzählige Videos und Beiträge rund um das Thema Oper. Diesen Sommer ist auf TikTok auch die Opernfigur Tannhäuser aufgetaucht – ein Tannhäuser aus dem Jahr 2022. Das Team der TikTok-Oper „OK Tannhäuser“ vom Musikfestival und der Stiftung „PODIUM Esslingen“ möchte diese Oper zeitgemäßer erzählen.

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„Ich möchte mit euch über Liebe reden…“

Auf der Suche zwischen Lust und Romantik

Tannhäuser. Ein suchender Sänger, hin- und hergerissen zwischen der Liebesgöttin Venus und seiner Angebeteten Elisabeth; zwischen sakraler und weltlicher Liebe, zwischen Lust und Romantik. So kennen Opernfans die Hauptfigur aus Richard Wagners „Tannhäuser“.

„Das haben wir dann versucht nachzuempfinden, wie sich das denn anfühlt, wenn man eigentlich auf ne ganz andere Art und Weise Liebe kennen lernt und auch diesen Sog verspürt, was anderes zu erleben, als was man sonst so vorgelebt bekommt oder in welche Strukturen man da so rein sozialisiert wird.“

Laura Tontsch erzählt als „Interactive Storyteller“ Geschichten auf Social Media. Auch die des neuen Tannhäusers: er ist queer – und er möchte herausfinden, was besser zu ihm passt: die klassische Monogamie oder die Polyamorie – ob er also eine Liebesbeziehung mit einer Person haben will oder mehrere Menschen gleichzeitig lieben kann. Dem Team war es wichtig, aus Wagners Oper ihre eigene Geschichte zu machen.

Autobiografische Einflüsse

„Weil dieser Umgang mit TikTok und dort was zu inszenieren ganz viel mit Authentizität zu tun hat. Von dem Winkel allein schon ausgehend haben wir uns dann dafür entschieden, diese Realität zu spielen, die zum Teil unsere auch ist.“

Der TikTok-Tannhäuser lebt in Berlin und ist Musiker. So wie auch in Wagners Oper sucht er danach, was Liebe für ihn bedeutet.

Mauricio Hölzemann ist Schauspieler am Münchner Volkstheater und spielt den neuen Tannhäuser. „Tannhäuser.Tok“ heißt der Kanal. Alle Videos darauf sind durch Improvisation entstanden. Es gab einen inhaltlichen Fahrplan, aber nichts war textlich festgelegt.

„Weil es auch wichtig ist bei TikTok, nicht so gescripted irgendwie daher zu reden. Bei diesem TikTok muss man sich auch mal versprechen können oder die Worte nicht finden oder bisschen daneben liegen. Es muss tatsächlich so wirken wie… also sehr privat.“

Interaktiver Austausch mit der Community

Das Publikum kann hier interaktiv mitwirken: die Community reagiert auf Tannhäusers Videos in den Kommentaren.

 „Ach man… fühle dich umarmt! Du bist nicht alleine und es wird wirklich besser. 🙏💛“

„Tannhäuser, du schaffst es ❤️‍🩹 okay? es geht darum, dass du dein Herz nicht ausnutzen lassen darfst. Dafür ist dein Herz zu groß und zu wertvoll“

Wagner und Techno-Beats

Tannhäuser teilt seine Emotionen auch durch seine Musik. Rike Huy und Lukas Akintaya haben sie für das Projekt komponiert und dabei Wagners Oper neu interpretiert – passend zu TikTok in Form von Techno-Beats.

„Wenn man Lust hat, mitzumusizieren und da was hinzuzufügen, kann man sich sozusagen in den Orchestergraben setzen, in den virtuellen. Wenn man möchte könnte man ein Duett machen und ein kleines Solo da hinzudichten oder man könnte in der Kommentarspalte Teil eines Chores werden.“

Tannhäuser fordert seine Community auch auf, mitzumusizieren. Denn die TikTok-App hat eine Duett-Funktion: man kann auf ein musikalisches Video antworten, es per Split-Screen einbinden und dazu selbst musizieren. So soll die TikTok-Oper entstehen.

„‘Tu dies, tu das, mach doch das‘ – oder: ‚lass das mit der Polyamorie, das ist nichts, das wird dir nur wehtun, mach doch das‘ – also diese Kommentarspalte ist eigentlich wie der Chor in der Oper.“

Zischen musikalischen Genres und Zielgruppen

„OK Tannhäuser“ ist auf TikTok nicht ganz eindeutig als Kulturprojekt zu erkennen. Das Team wollte die Realität der Geschichte nicht sprengen und ergebnisoffen schauen, wie die Reaktionen seien – so die Regisseurin.

Das lässt einen Raum entstehen, in dem die Grenzen verschwimmen zwischen musikalischen Genres und Zielgruppen. Der TikTok-Algorithmus leitet das Video an alle möglichen Interessierten – und es kommt auf das Individuum vor dem Bildschirm an, ob man sich angesprochen und verbunden fühlt, nicht interessiert ist oder wegen fehlendem Kontext etwas verwirrt zurückbleibt.

Ich finde es wichtig, den Stoff aus dem 19. Jahrhundert aus heutiger Sicht kritisch zu hinterfragen und daher erfrischend zu sehen, wie der neue Tannhäuser im Jahr 2022 denkt und durch TikTok tanzt.

Wer die Online-Version einer klassischen Operninszenierung erwartet, wird hier nicht fündig. Dafür findet man einen offenen und zeitgerechten Dialog über die Kernthemen der Oper: die Musik - egal welcher Art - und die ganz großen Gefühle.

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In Esslingen, abseits der Großstadt Stuttgart gründete der Musikstudent Steven Walter 2009 ein Festival. Damals war noch nicht klar, dass es den klassischen Musikbetrieb ziemlich aufmischen würde. Unter der Leitung von Walters Nachfolger, dem Geiger Joosten Ellée, läuft das Festival seit dem 20. April.

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