Was macht Wagner ohne seine Stabreime noch aus, oder ist er gerade dann erst ertragbar?
Wagnerische Blasphemie
Es muss hundert Jahre her sein. Damals nahm ich an einem Kompositionskurs in Bayreuth teil – war also noch längst nicht in meiner Mannheit stolzer Blüte – und kam an günstige Karten für eine Parsifal Vorstellung. Spielt mir die Erinnerung einen Streich?
Ich glaube, dass Placido Domingo damals sang, im waldlosen Wald herumtaperte und mich an Robin Hood gemahnte. Neben mir saß ein glühender Wagnerianer. Denn irgendein tumber Tor applaudierte nach dem Karfreitagszauber und der französische Sitznachbar sackte, wie von einem Speer getroffen, in sich zusammen. Fassungslos und mitleidlos wähnte er Wahn allüberall und rief: »oh no – sacrilège, sacrilège!!!«
38° Celsius in Bayreuth
Hätte ich ihm gesagt, dass ich eigentlich Team Verdi bin, er hätte mich in einen Schwan verwandelt. Gut, dass er mich nicht gefragt hat. Der Drang nach ein Paar Würstchen und einem Bier war groß, ich verließ zügig die Stuhlreihe und ließ den seelenwunden Wagnerianer zurück.
Mir war die Zeit nicht nur zum Raum, sondern auch recht lang geworden. Der Glaube lebt, die Taube schwebt – aber bei 38°Celsius das Hemd auch klebt.

Zu cool für Wagner
Als Student besuchte ich erneut Parsifal und harrte getrost auf den Beginn, war mir aber sicher und selig im Glauben, Wagner werde mich niemals kriegen, ich bin viel zu cool.
Das Licht geht aus, es erklingen Violinen, Celli, Klarinette, Fagott, etwas später auch das Englischhorn. Mir wird wärmer. Einsatz Trompete, Takt neun auf zwei und es passiert. Schönen Dank auch, Wagner, denke ich mild und leise, jetzt hast du mich.
Schmunzeln über „Wagalaweia“
Verändert dünkte mich alles, denn wer so instrumentiert, der braucht keine Wärmpumpe. Ich bin dem wehvollen Erbe verfallen. Seitdem macht Wagner mich immer wieder fertig, dieser garstige Unsympath. Also, vielleicht könnte man wenigstens alle Worte weglassen?
»Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weialaweia!« singen die Rheintöchter und wie einfach ist es, sich darüber lustig zu machen.
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Volle Dröhnung Wagner
Aber genau das gehört dazu und man muss sich dem vielleicht aussetzen. Denn Wagners Texte sind fies, bescheuert und manchmal vielleicht genial.
Ich kann Wagner, obwohl ich die Musik oft liebe, nicht unschuldig hören. Zu viel Droge, zu viel eklige Geschichte, daher gehören die Worte, so sperrig sie sind, dazu. Wenn ich schon mitgerissen werde, dann mit der vollen Dröhnung an Bedeutung.
Entzückung statt Tränen
Wagner lässt mich oft in höchster Entzückung zurück, drückt mich in den Sitz und lässt mich glauben, ich sei ein durchgeknallter Schmied, ein Tor, ein Held – auf jeden Fall aber dem Untergang nahe.
Trübt mich die Erinnerung? Ich glaube, meine Begeisterung für Wagner blieb bis jetzt tränenlos. Im Gegensatz zu Puccini – der erwischt mich immer. Neulich zum Beispiel »Suor Angelica«, Dio mio. Aber das ist wohl etwas für meinen Therapeuten.
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