70. Geburtstag des Star-Dirigenten

Von Berlin über Amsterdam und Leipzig – Riccardo Chailly

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Claus Fischer

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Zuhause ruhig, am Pult springend

Meditativ und stimmungsvoll, so beginnt ein Porträt-Film, den der Leipziger Regisseur Paul Smaczny vor einigen Jahren über den Dirigenten gedreht hat. Wer Riccardo Chailly schon am Pult erlebt hat, wird sich über diese Ruhe vielleicht wundern. Doch aus eben dieser Ruhe heraus entsteht die andere, die impulsive Seite seiner Arbeit, mit ihren schwungvollen Gesten, bis hin zu regelrechten Luftsprüngen.

„So eine individuelle Körpersprache erarbeitet man in jahrelangem Studium, das kann man nicht improvisieren!“

Feuerkopf

Vordergründig wirkt Riccardo Chailly mit seinem Vollbart und Bauchansatz eher phlegmatisch, doch am Pult wird er zum Feuerkopf, wie es ein Kritiker der Wochenzeitung „Die Zeit“ einmal ausgedrückt und damit absolut recht hat, meint der erste Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters Frank-Michael Erben.

Das Feuer des Feuerkopfs speist sich immer wieder aus dem Spannungsfeld zwischen höchster Präzision auf der einen Seite und dem sprichwörtlichen italienischen Temperament anderseits.

„Die Ideal ist immer eine Balance zwischen ja Kopf und Herz, nicht. Mein Prinzip ist: Lesen mit den Ohren, ohne Augen, zu Anfang einer Interpretation. Und mit diesem Prinzip dann die Emotionalität [bringen] und auch etwas Überraschendes“

Die Lebensstationen von Riccardo Chailly

Nach ersten Stationen als Assistent von Claudio Abbado und Leiter des damaligen Radio-Sinfonieorchesters in Westberlin übernahm Riccardo Chailly 1988 das Concertgebouw Orchester in Amsterdam, als Nachfolger von Bernard Haitink. Vor allem mit Gustav Mahler gelangen ihm in Amsterdam geradezu bahnbrechende Erfolge. Die CD-Einspielung sämtlicher Sinfonien des Jugendstil-Titanen, eine Frucht mehrjähriger Arbeit, hat bis heute Referenzcharakter.

Auch an seinem nächsten Wirkungsort ab 2004, dem Leipziger Gewandhausorchester, war Mahler für ihn prägend. Aber auch Beethoven. In seiner Gesamtaufnahme der neun Sinfonien verband er die romantische deutsche Tradition mit der historisch-informierten Aufführungspraxis. Das Ergebnis ist ein transparenter Klang mit dosiertem Vibrato, dabei absolut kontrastreich.

Mittlerweile Musikdirektor der Mailänder Scala

Anfangs war Riccardo Chailly in Leipzig auch Generalmusikdirektor der Oper. Doch als deren Leitung im Jahr 2008 Peter Konwitschny als Chefregisseur engagierte, gab er dieses Amt wieder auf. Regietheater deutscher Provenienz entspricht nicht seiner Auffassung von Oper, sagte er auf einer Pressekonferenz.

Die Arbeit von Riccardo Chailly am Gewandhaus verlief dagegen zehn Jahre lang sehr erfolgreich. Er schaffte es, das Orchester in die zehn besten der Weltspitze zu katapultieren. Doch ab dem Jahr 2015 schien er die Lust an der Arbeit in Leipzig zu verlieren, kam seinen vertraglichen Verpflichtungen kaum noch nach, es hieß wegen Krankheit. Am Ende stellte sich heraus, dass die Liebe zu seiner Heimatstadt und der dortigen konservativen Operntradition schwerer wog.

Er verließ Leipzig vor Auslaufen seines Vertrags und wurde Musikdirektor an der Mailänder Scala. Statt negativer Schlagzeilen sorgt er seitdem durchweg für begeisterte Kritiken, etwa am Pult von „Madame Butterfly“ – aufgrund der ihm eigenen Synthese von Präzision und Emotion.

Riccardo Chailly – Gespräche über Musik in Buchform Chailly, Riccardo: Das Geheimnis liegt in der Stille

Riccardo Chailly, Musikdirektor der Mailänder Scala sowie Noch-Chef beim Leipziger Gewandhausorchester, übernimmt im Sommer 2016 die Leitung des Lucerne Festival Orchestra. Ein jetzt erschienenes Buch gibt tiefe Einblicke in seinen Arbeitsethos als Musiker.

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