Die Taliban wollen mit Gewalt das Leben aller Afghaninnen und Afghanen bestimmen. Dazu gehört auch, dass Musik verboten ist. Sogar ein Instrument zu besitzen, ist strafbar. Musikerinnen und Musiker aus Kabul suchen deshalb Unterstützung von außen: Sie haben einen Twitter-Account gestartet, mit dem sie auf sich aufmerksam machen. „Kabul_musicians“ heißt das Profil.
„Ein Freund von mir wurde von seinem Nachbarn verraten. Er hat den Taliban erzählt, dass mein Freund jede Nacht Gitarre übt, weil sie Probleme mit ihm hatten. Dann haben ihn die Taliban für zwei Wochen verhaftet, ihn geschlagen und noch anderes mit ihm gemacht.“
Twitter-Initiative „Kabul_musicians“
In der unübersichtlichen Welt von Twitter, in der sich Menschen endlos Meinungen an den Kopf knallen und hemmungslos streiten, geht „Kabul_musicians“ eigentlich unter mit seinen etwas mehr als 600 Followerinnen und Followern. Auf dem Profil steht: „Seit Dezember 2021 bei Twitter“ – also vier Monate nachdem die Taliban wieder an der Macht waren.
Eine Ermutigung, um die Stimme zu erheben
Axel Steier ist Gründer und Sprecher von Mission Lifeline, einer Hilfsorganisation, die sich vor allem der Seenotrettung widmet, aber auch in Afghanistan unterstützt. Zu einem Twitter-Account rät er deshalb auch Yama Ahadi, als der sich bei ihm meldet.
Yama Ahadi ist 23 Jahre alt. Er ist Musiker, spielt Gitarre und Klavier – er singt auch und hat Musik gemixt und gemastert. Dann kamen die Taliban an die Macht und Musik war verboten.
„Da raten wir eigentlich allen Betroffenen, selbst ihre Stimme zu erheben, natürlich anonymisiert, so dass sie nicht quasi von den Taliban, die auch auf Twitter sind, identifiziert werden können.“
Mediale Vernetzung als Chance
Ahadi und Steier bauen Kontakt auf und beginnen, sich zu vernetzen. Nicht nur untereinander, sondern Yama Ahadi gründet auch Gruppen für Musikerinnen und Musiker aus Kabul bei Signal, WhatsApp und anderen Messengern.
Er studiert damals an der Uni in Kabul und wendet sich zunächst an Mitstudierende. Die wiederum laden befreundete Musikerinnen und Musiker ein, und so weiter. Diese Gruppen gibt es bis heute.
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Aufmerksamkeit schaffen
Der Twitter-Account hat nur eine Funktion: Aufmerksamkeit schaffen. Axel Steier rät Yama Ahadi damals dazu, auf eigenen Tweets das Auswärtige Amt und andere Zuständige zu verlinken, außerdem solle unter Tweets der verschiedenen Bundesministerien antworten. Auf deutscher Seite versucht man außerdem, mit größeren Accounts als Multiplikatoren den Tweets zu mehr Reichweite zu verhelfen.
„Es gibt unter den Taliban verschiedene Menschen. Einige werden dich ermahnen, dass es das letzte Mal gewesen sei. Aber die meisten sind sehr schwierig. Sie werden nervös, wenn sie jemanden ein Instrument spielen sehen. Als erstes werden sie dich beleidigen, dann dein Instrument zerstören, vielleicht schlagen sie dich auch, oder töten dich sogar.“
Ein Leben in Angst
Yama Ahadi hat es geschafft, ohne Bestrafungen zu überleben und nach Deutschland zu fliehen. Seine Einreise wurde bewilligt. Ein Kollege von ihm ist auch in Deutschland – der aber wurde von den Taliban gefoltert, weil er Musiker ist. Yama Ahadi sagt, die Situation für Musikerinnen und Musiker in Afghanistan sei geprägt von Angst.
„Einige sind umgezogen, weil sie nicht wissen, was passieren wird. Nachbarn verraten den Taliban, wenn irgendwo ein Musiker wohnt. Es gibt kein Vertrauen zu irgendjemandem, nicht zwischen besten Freunden, zwischen niemanden.“
Es passiere oft, dass Nachbarn andere verpfeifen, um sich gut zu stellen mit den Taliban, sagt Axel Steier. Andere verraten ihre Mitmenschen wiederum unter Folter oder Androhung von Gewalt.
Letztlich, so Axel Steier, werden die Taliban wohl jede einzelne Musikerin, jeden einzelnen Musiker in die Hände bekommen. Das sei nur eine Frage der Zeit. Wie viele dieser Ungewissheit entgegenblicken, kann er nur schätzen.
Keine Priorität aus Sicht der Bundesregierung
Retten und nach Deutschland holen konnte Mission Lifeline bisher nur zwei Musiker: Ahadi und einen Kollegen, den die Taliban gefoltert haben. Listen mit den gefährdeten Personen lägen bei den Behörden, die aber kümmerten sich nicht.
Musikerinnen und Musiker hätten aus Sicht der Bundesregierung keine Priorität. Selbst bei den Ortskräften würden die allermeisten zurückgelassen, sagt Axel Steier. Doch die aktuelle Situation wird immer schlimmer für die Musizierenden. Die meisten halten sich vermutlich versteckt.
„Wovon sie leben, ist eine gute Frage. Wahrscheinlich ist das der schwierigste Teil. Es gibt nämlich kein Einkommen für diese Menschen. Und ja, das heißt, sie hungern wahrscheinlich.“
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