CD-Tipp

„Cantilena“: Die Bratschistin Tabea Zimmermann singt spanische Lieder

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AUTOR/IN
Susanne Stähr

„Cantilena“ heißt das neue Album, das Tabea Zimmermann bei Harmonia mundi veröffentlicht hat. Die Bratschistin und diesjährige Siemens-Musikpreisträgerin interpretiert Lieder aus dem spanischen und lateinamerikanischen Kulturraum und präsentiert sich dabei als begnadete Sängerin. Ihr zur Seite steht mit Javier Perianes der gegenwärtig wohl beste spanischen Pianist.

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Lieder aus dem spanischen und lateinamerikanischen Kulturraum

Es gibt Instrumente, die von den Komponist*innen über Jahrhunderte schmählich vernachlässigt wurden. Wie etwa die Bratsche, für die es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum Originalrepertoire gab. Das führt dazu, dass die Bratschist*innen „Wilderer“ wurden und sich Werke vornehmen, die eigentlich für ganz andere Instrumente gedacht waren.

Doch paradoxerweise zeigt sich gerade dabei, wie vielseitig die oft verspottete Viola ist. Tabea Zimmermann, die 2020 den Siemens-Musikpreis erhält, präsentiert ihr Instrument als begnadete Sängerin und interpretiert Lieder aus dem spanischen und lateinamerikanischen Kulturraum.

 „Cantilena“ heißt ihr neues Album, das sie bei Harmonia mundi veröffentlicht — und es ist ein cleverer Schachzug, dass sie sich dabei Javier Perianes, den gegenwärtig wohl besten spanischen Pianisten, zum Mitstreiter gewählt hat. Gemeinsam bilden sie ein kammermusikalisches Duo, bei dem die Bratsche keineswegs allein zu singen hat, sondern noch ganz andere Qualitäten unter Beweis stellt.

Tabea Zimmermann beschränkt sich nicht nur auf die Interpretation des Gesangparts

Bei diesem Arrangement der Jota aus Manuel de Fallas „Siete canciones populares españolas“ beschränkt sich Tabea Zimmermann nicht auf die Interpretation des Gesangparts. Sie wirkt auch schon beim Vorspiel und bei den instrumentalen Zwischenspielen mit.

Dann konzertiert sie mit ihrem Klavierpartner Javier Perianes, indem sie ihre Bratsche pizzicato „alla chitarra“ spielt oder Doppelgriffe beisteuert, ehe sie zum Cante jondo wechselt, zum rauen, tiefen Gesang.

Verzicht auf jegliche Spanien-Maskerade

Das Faszinierende dabei ist, dass Tabea Zimmermann über unglaublich viele verschiedene Timbres verfügt. Mal klingt ihr Bratschenton satt, voll und breit, dann wieder zart und ätherisch wie ein lyrischer Sopran.

Erfreulich ist, dass Zimmermann und Perianes auf jegliche Spanien-Maskerade verzichten und keine kostümierte Carmen auffahren, sondern ganz unverstellt und entspannt musizieren. Da ist nichts von den gängigen Klischees zu hören, von feurigen, stolzen, virilen Spaniern oder von Stierkampf und grellem Sonnenlicht.

Intime Interpretation

Die Tanzrhythmen werden ohne zackige Überbetonungen präsentiert, mit leichten, wiegenden Bewegungen und lässiger Nonchalance. Diese Natürlichkeit hat gewiss auch damit zu tun, dass Perianes hier in seiner Muttersprache spricht. Gleichzeitig gelingt es ihm, mit seinem Klavierspiel die Atmosphäre plastisch vors Auge zu rufen, in der das Ganze stattfindet: die Räume, die Tageszeit, die Schauplätze.

Javier Perianes muss nur die ersten Takte anschlagen und schon fühlt man sich in eine schummrige Hafenbar nach Havanna versetzt. Tabea Zimmermann greift dann genau diese etwas verruchte Stimmung auf, manchmal sogar mit leicht verschmutzter Intonation oder Schleifern. Zugleich hat ihre Interpretation etwas sehr intimes, als würde da einer die Melodien nur für sich selbst anstimmen oder mitsummen.

Spanische Lieder kommen hier auch ohne Gesang zur schönsten Geltung

Die CD „Cantilena“ spielt auf den spanischen Gesang an, wie er auf den Straßen und Plätzen erklingt, in der Taverne, unter vier Augen oder auch als Wiegenlied am Bett eines Kindes. Man sieht konkrete Bilder, Szenen und Personen vor dem geistigen Auge, ohne dass tatsächlich gesagt oder gesungen wird, worum es geht. Aber – man vermisst den Text überhaupt nicht, denn der Gesang selbst ist hier das Thema.

Und es ist ein Gütesiegel von Tabea Zimmermanns großer Kunst, dass sie ihrem Spiel eine unmittelbar menschliche Qualität verleiht. Ihre Phrasen atmen, sie klingen sprechend – sie hat uns etwas zu sagen.

„Das schmerzerfüllte Mädchen“, „La maja dolorosa“ von Enrique Granados berührt mit seiner subtilen, zarten und einfühlsamen Intonation – die beiden streicheln eine verwundete Seele. Wer so auf Instrumenten sprechen und singen kann, der braucht keine Worte. Und umgekehrt kommen die spanischen Lieder auf ihrer CD „Cantilena“ auch ohne Sänger*innen zur schönsten Geltung.

Musikstück der Woche Tabea Zimmermann spielt Johannes Brahms: Sonate für Viola und Klavier f-Moll op. 120 Nr. 1

Brahms entschied sich 1890, das Komponieren aufzugeben. Da war er 57 Jahre alt. Dank dem Klarinettisten Richard Mühlfeld überlegte er sich’s nochmal anders.

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