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„Silent Songs“: Hélène Grimaud und Konstantin Krimmel interpretieren Silvestrov

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AUTOR/IN
Christine Lemke-Matwey

Mit dem ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov beschäftigt sich Hélène Grimaud schon lange. Das Avantgardistische und Mutige an Silvestrov, sagt Grimaud, sei seine Einfachheit. Das gilt auch für die „Silent Songs“, die sie nun zusammen mit dem Bariton Konstantin Krimmel aufgenommen hat.

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Einer der poetischsten Liederzyklen des 20. Jahrhunderts

Zwei Akkorde. Liegend, ruhig atmend, sehr kontemplativ. Mit diesen Akkorden beginnt einer der poetischsten Liederzyklen des 20. Jahrhunderts: die „Silent Songs“ des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov.

Schubert, Schumann, Brahms, Tschaikowsky – wen hört man hier nicht alles wie durch eine musikalische Membran hindurch! „Song Can Heal the Ailing Spirit“ heißt dieses erste Lied und es spricht für den ganzen Zyklus: Lieder heilen unseren Geist, sagt schon der Text. Sie erlösen uns von unseren Sorgen.

Valentin Silvestrov: „Song Can Heal the Ailing Spirit“

Grimaud und Krimmel fürchten sich nicht vor Silvestrov

Die Pianistin Hélène Grimaud und der junge deutsche Bariton Konstantin Krimmel verstehen sich. Sie hören aufeinander, sie haben einen ähnlichen Klangsinn und fürchten sich nicht vor Silvestrovs Spiritualität. Das mag nicht alles sein, was diese Musik braucht, aber es ist viel.

Denn bei aller kompositorischen Anti-Avantgarde, die einem hier begegnet, bei aller Eingängigkeit der Melodien und der Harmonik darf man sich nicht täuschen: Es ist schwer, Liedern, die sich so stark zurücknehmen, ihr Geheimnis zu entlocken.

Silvestrovs Musik versuche nie, etwas zu sein, das sie nicht ist, sagt Hélène Grimaud. Und das gilt auch für die Interpretation: Jedes „Als Ob“, jeder falsche Ton, jedes Zuviel rächt sich. Diese Gratwanderung beherrscht die neue Aufnahme. 

Eine Einspielung mit nur der Hälfte der „Silent Songs“

Silvestrovs „Silent Songs“, komponiert in den 1970er Jahren, umfassen 24 Lieder auf verschiedenste klassische Texte. Aufführungsdauer: zwei Stunden. Die Auswahl, die Konstantin Krimmel und Hélène Grimaud getroffen haben, beschränkt sich auf exakt die Hälfte, auf zwölf Lieder.

Man fragt sich, warum. Würde man Schuberts „Winterreise“ halbieren? Natürlich nimmt Silvestrov auf Schubert Bezug, mit einem seiner schönsten Lieder und mit Puschkin sogar wortwörtlich: „Winter Journey“.

„Autumn Song“, neunter Titel des „Silent Songs“-Zyklus

Viel Empathie vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs

Da liegt viel Hingabe im Musizieren, viel Empathie, und das hat auch damit zu tun, dass die Aufnahme letzten Sommer, ein halbes Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, entstanden ist.

Silvestrov lebte da bereits kriegsbedingt im Exil in Berlin. Die Musiker trafen den Komponisten, ein mächtiges Inspirationsmoment, das man der Aufnahme anhört: Grimaud in ihrem Hang zum Metaphysischen, Krimmel im Bemühen um die größtmögliche baritonale Zärtlichkeit – bei „The Isle“ nach Shelley zum Beispiel.

Keine neue Referenzaufnahme, aber eine neue Art, in die Stille zu gehen

Vor 20 Jahren bekam Hélène Grimaud eine Einspielung der „Silent Songs“ zum Geburtstag geschenkt. Das wird wohl die bei ECM erschienene, hoch visionäre von 1986 mit Sergey Yakovenko und Ilya Scheps gewesen sein, den Interpreten der Moskauer Uraufführung.

An diese schier nur geflüsterte, vor Spannung knisternde Referenzaufnahme reichen die neuen „Silent Songs“ nicht heran. Aber es sind auch andere Zeiten, andere Musikerinnen und Musiker, andere Arten, in die Stille zu gehen. Warum sollte man das nicht hören? 

Klassikpreis Ukrainischer Komponist Silvestrov erhält „Opus Klassik 2022“ für Lebenswerk

Der in Kiew geborene Komponist Valentin Silvestrov wird mit dem „Opus Klassik 2022“ für sein Lebenswerk geehrt. Die Auszeichnung wird dem 85-Jährigen am 9. Oktober im Berliner Konzerthaus überreicht.

Konzert als Bildschirmerlebnis Veranstaltungsplattform "Dreamstage" eröffnet mit Hélène Grimaud und Jan Vogler

Seit dem 30. Juli kann man bereits Tickets für Konzerte mit dem Geiger Gil Shaham, dem Pianisten Martin Stadtfeldt oder der Sängerin Simone Kermes kaufen. Alle Plätze kosten einheitlich 25 Euro.

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Christine Lemke-Matwey