Cupid and Death (Foto: Alban van Wassenhove)

Die Masque »Cupid and Death«

Das perfekte Rezept

Stand

Mit »Cupid and Death« kommt eine Rarität auf die Schwetzinger Bühne, die einzige erhaltene Masque aus dem England des 17. Jahrhunderts. Diese Wiederentdeckung verdanken wir Sébastien Daucé, dem Künstlerischen Leiter des Ensemble Correspondances. Mit ihm sprach Ilona Hanning über die Besonderheiten und Herausforderungen dieser Produktion.

Sébastien Daucé, was genau ist eigentlich eine Masque?

Eine Masque, das ist eine Form des Theaters, die während der gesamten Renaissance im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts in England führend war. Eine Darbietung, die speziell für den Hof bestimmt war und in der man alle Bestandteile der Oper vorfindet: Gesang, Tanz, Kulissen, Kostüme – alle Zutaten der Oper, nur dass es keine Oper ist. Man könnte sagen, das Rezept ist ein anderes. Und sie ist in erster Linie eine Komödie, wobei es einen lustigen Teil gibt, aber auch einen sehr ernsten Kern. Unter den Zeitgenossen war die Masque sehr beliebt, es gab viele Aufführungen … leider ist kaum Musik überliefert – Cupid and Death ist die einzig erhaltene Masque.

Ungewohnt für heutige Hörer und anders als bei der Oper ist ja auch die Art und Weise, wie die Handlung erzählt wird …

Absolut. Neben dem hohen Sprechanteil finde ich interessant, dass alle »Songs« von Figuren gesungen werden, die nicht in der Handlung vorkommen. Stellen Sie sich vor: die titelgebenden Figuren Amor und Tod singen jeweils, glaube ich, gerade einmal fünf Noten! Die gesungene Musik ist wie ein griechischer Chor. Sie ist ein Kommentar zu dem, was auf der Bühne passiert, wie ein Ratgeber für die Figuren. Die Rolle der Sänger und der Chöre ist also sehr spezifisch und unterscheidet sich deutlich von dem, was wir etwa in Frankreich zur gleichen Zeit haben. Die Musik selbst ist, finde ich, dem Stil der Komponisten vor Purcell, also Pelham Humfrey, John Blow, all diesen Komponisten, in gewisser Weise sehr nahe.

Bernard Picart Amor und der Tod (Foto: Städel Museum, Frankfurt a.M.)
Amor und der Tod. Federzeichnung von Bernard Picart, 1718

Sie sprechen Purcell an … Von seiner Musik spricht man ja in erster Linie, wenn man an englische Musik des 17. Jahrhunderts denkt, weniger an die von Matthew Locke und Christopher Gibbons. Warum ist das so?

Die Musik beider Komponisten, vor allem aber die Lockes ist, denke ich, zu Unrecht weniger bekannt als die von Purcell. Auch Purcell stand ja lange im Schatten Händels und ist erst seit 50 Jahren stärker in unser Bewusstsein gerückt. Bei Locke hat sicherlich bereits die große Edition der Musica Britannica geholfen, seit den 1990er Jahren entstehen außerdem mehr und mehr Aufnahmen – wir als Musiker haben also auch großen Anteil daran, ihm heute wieder zu mehr Popularität zu verhelfen.

Sie haben die Songs in Cupid and Death erwähnt und die Chöre. Was ist mit den Rezitativen, sind die auch so außergewöhnlich?

Nun, die Rezitative … am Anfang, das kann ich Ihnen verraten, war es für die Continuo-Gruppe sehr schwierig, sich diese Musik zu erarbeiten, denn...

...diese frühe Form von Rezitativen ist völlig anders als alles, was wir bisher gespielt haben.

Warum es so anders ist? Die Akzentuierung, der Wechsel der Harmonie, der ständige Wechsel zwischen etwas sehr klar Gesprochenem und etwas sehr Sanglichem mit einer schönen Linie …

Auch die Tänze spielen eine wesentliche Rolle. Im Autograph werden sie nicht als solche benannt, also es steht nicht »Galliarde« oder »Allemande« über den Stücken – halten sich denn die Komponisten an die gängigen Charakteristika dieser Tänze?

Es steht zwar nicht Allemande oder Galliarde in den Noten, aber es sind alle Merkmale dieser Tänze vorhanden. Was ich bei den Tänzen besonders interessant finde, ist die Verbindung zum Ballet de cour, das zur gleichen Zeit ein wichtiges Genre am französischen Hof war. Ich denke, dass die englische Musik damals sehr von französischen Geigern beeinflusst wurde, die am englischen Hof arbeiteten. Wenn zum Beispiel der Tod in der Masque auftaucht, gibt es einen Totentanz, der ganz klar vom Ballet de cour beeinflusst ist – das können wir an den vielen Pausen während des Tanzes festmachen, an verschiedenen musikalischen Bewegungen, Beschleunigungen und an sehr visuellen Elementen: Wenn man diesen Tanz hört, kann man sich gut vorstellen, worum es darin geht. Davon haben wir in dieser Masque sehr viel, und das macht die ganze Instrumentalmusik – die einen Großteil ausmacht – sehr lebendig, sehr knackig, sehr originell. Wir hören eben nicht nur Allemande, Courante, Menuett und Sarabande – es ist mehr als nur eine normale Suite.

Die Musik stammt ja von zwei Komponisten, Matthew Locke und Christopher Gibbons. Im Autograph ist das auch, meines Wissens, vermerkt. Konnten Sie direkt damit arbeiten?

Es ist tatsächlich eine merkwürdige Quelle. Eine reduzierte Partitur, von Matthew Locke verfasst, von der wir aber nicht wissen, wofür er sie geschrieben hat. Für sich? Für einen Kopisten? Wir haben darin die gesamte gesungene Musik, aber bei den Instrumentalstimmen haben wir nur die erste Violine und den Bass. Ich persönlich glaube, dass diese Musik ursprünglich für vier oder fünf Stimmen komponiert wurde. Daher habe ich mich dazu entschlossen, die fehlende Musik in Form zweier weiterer Stimmen neu zu schreiben.

An dieser Stelle muss ich einmal loswerden: Matthew Locke ist wirklich ein Genie. Ich sage so etwas selten, aber er ist einer der interessantesten englischen Komponisten, die es gibt.

Matthew Lockes Stil ist so originell, dass ich zu Beginn beim Schreiben der fehlenden Stimmen oft dachte, oh, da ist ein Fehler, den muss ich korrigieren. Aber das kann man nicht!

Es ist wirklich seltsam … es ist einfach der Stil von Matthew Locke. Da sind Bewegungen, da sind Intervalle, die nicht üblich sind, das muss man akzeptieren und dann kann man versuchen, die fehlenden Stimmen im selben Stil dazuzuschreiben. Gibbons wiederum … ist vielleicht traditioneller, aber er hat ein perfektes Gespür für den Tanz. Ich denke, dass die beiden Komponisten für dieses Werk zusammengefunden haben, um es nicht nur musikalisch, sondern auch für das Theater möglichst interessant zu machen.

Woran haben Sie sich bei der Instrumentierung orientiert?

Neben der Entscheidung, vierstimmig zu schreiben, wozu ich viele Diskussionen mit Musikwissenschaftlern und Spezialisten geführt habe, musste ich mir auch ganz pragmatisch die Frage stellen: wie kann man eine Masque heute, im 21. Jahrhundert, so einrichten, dass sie für die Theater spielbar ist? Wir sind neun Musiker und sechs Sänger. Damit sollte man idealerweise ein Maximum an Farbeffekten erzeugen – wir haben also eine große Continuo-Gruppe mit Thibaut, der Erzlaute und Gitarre spielt, wir haben eine Harfe, ich spiele Orgel, Cembalo und Ottavino und dann gibt es noch jemanden für weitere Tasteninstrumente. Wir haben zwei Gamben, zwei Geigen und eine Flötistin, die auch Fagott spielt. Jeder spielt also eine Menge, um die Musik so farbenreich wie möglich zu machen und zum Klingen zu bringen, auch wenn wir an einem großen Ort sind, wie z.B. in der Konzerthalle in Brügge. Es war schon möglich, diese Halle mit diesem kleinen Team zum Klingen zu bringen, aber ich freue mich ganz besonders auf Schwetzingen, da das Theater die perfekte Größe dafür hat.

War es schwer, die fehlenden Stimmen zu ergänzen?

Ich liebe das Schreiben und ich liebe diesen Stil. Es ist, als würde man sich in den Kopf eines Schöpfers vor Jahrhunderten versetzen. 2015 habe ich es für das Ballet Royal de la Nuit, für diese zweistündige Musik gemacht, weiß also wie man es mit französischer Musik macht, aber mit englischer Musik? Das war nicht so einfach, denn die englische Musik des 17. Jahrhunderts ist so spezifisch, so originell, weil alle Komponisten nach originellen Dingen suchen, nach Dissonanzen, nach neuen Wegen, den Kontrapunkt voranzutreiben.

Das Interessante an der englischen Musik dieser Zeit ist, dass sie am Anfang so bizarr scheint, dass man immer versucht ist, sie zu korrigieren.

Man könnte bei einem Manuskript auf eine fehlerhafte Abschrift oder Unleserlichkeit tippen, aber es war offensichtlich: das ist die Musik, Matthew Locke hat sich diese Art von Musik vorgestellt. Wenn man also diese Stimmen ergänzen muss, ist es, als würde man in das Gehirn eines Kranken eindringen. Er war verrückt, die Bewegungen sind so unregelmäßig … man muss sich vorstellen können, Dissonanzen inmitten von Unregelmäßigkeiten zu finden. Das ist eine ziemlich intellektuelle und knifflige Aufgabe. Ich habe das gerne gemacht, aber es hat mich viel Zeit gekostet. Nach einem Jahr dachte ich, das schaffe ich nicht, ich kann nicht mehr – ich habe erst zwölf Tänze, 30 weitere fehlen … Nun, es hat Zeit gebraucht. Ich habe jeden Tag etwas gemacht, im Zug, am Wochenende auf dem Land. Es war ein Langzeitprojekt, aber ich bin sehr froh, dass ich es fertiggestellt habe. Und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

In dieser Masque geht es um die großen Themen Liebe und Tod, trotzdem werden sie auf sehr lustige Art und Weise verhandelt, mit bewundernswerten Einfällen. Es geht bunt und lustig zu, es gibt sogar Slapstick-Szenen. Welche Rolle hat denn die Musik, trägt sie auch zur Komik bei und wenn ja, wie macht sie das?

Ja, man merkt, dass die Musik von Anfang an mitgedacht, nicht später hinzugefügt wurde – die Musik ist die Show. Als wir anfingen, mit Jos Houben und Emily Wilson an der Inszenierung zu arbeiten, mussten wir nicht groß über Musik vs. Theater nachdenken. Und ich war sehr glücklich über eine Sache: Wenn man an einem Bühnenprojekt mit Barockmusik arbeitet, kommt man meiner Erfahrung nach mit der Partitur an, und nach zwei Tagen Arbeit kommt der Regisseur zu einem und fragt, ob der Tanz nicht vielleicht doch nicht so wichtig sei. Bei diesem Projekt gab es keinen Moment, in dem Jos mich darum gebeten hat, etwas zu streichen. Das ist vielleicht der beste Beweis dafür, dass die Musik so sehr im Werk integriert ist und so sehr das ganze Theater mit einbezieht, dass es nicht nötig ist, etwas wegzunehmen oder hinzuzufügen. Es ist das perfekte Rezept!

Cupid and Death mit dem Ensemble Correspondances (Foto: Alban van Wassenhove)
Cupid and Death mit dem Ensemble Correspondances

Auf der Bühne ist eine Menge los: die Musiker spielen, es wird getanzt, es wird gesprochen. Leider ist die ursprüngliche Choreographie der Tänze verloren gegangen. Woran orientiert sich diese Produktion und können Sie uns schon verraten, was die Besucher in puncto Choreographie erwartet?

Wir haben nicht viele Anhaltspunkte zum Tanz. Wir wissen, dass es Tänzer gab, wir wissen aber nicht, wie viele es waren … wahrscheinlich zwei oder fünf, wir wissen, dass der Ort ziemlich klein war. Zusammen mit Jos Houben und Emily Wilson haben wir beschlossen, keine Tänzer zu nehmen, sondern eine Choreographie zu entwickeln mit allem, was wir finden konnten. Auf der Bühne sieht man also eine Menge Objekte wie Kisten oder Gepäckstücke, also Trödel, und diese Objekte sind immer in Bewegung. Die großen Kisten, in denen sich die Musiker befinden, bewegen sich und jeder ist ein Techniker, ein Künstler, ein Sänger, ein Sprecher. Jeder muss alles machen. Für uns Musiker ist dieses Projekt daher ziemlich lustig, denn wir sind Teil der Choreographie. Selbst wenn wir spielen, sind wir in Bewegung. Wir gehen über die Bühne, sind immer in Bewegung. Deshalb ist auch diese Tanzmusik so interessant: Es ist nicht wie üblicherweise, dass die Musiker spielen und die Tänzer tanzen. Man sieht vielmehr, wenn wir Musiker spielen, dass die Bühne überall in Bewegung ist. Das ist vielleicht eine moderne Idee, aber ich denke, sie ist historisch korrekt – Choreographie hieß damals vor allem, Bewegung auf die Bühne zu bringen.

Aufführungstermine

Musiktheater | Masque Cupid and Death

Eine Masque von James Shirley (Libretto) mit Musik von Matthew Locke und Christopher Gibbons

Musiktheater | Familienvorstellung Cupid and Death

Eine Masque von James Shirley (Libretto) mit Musik von Matthew Locke und Christopher Gibbons

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AUTOR/IN
SWR