Im Auftrag des Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung hat die forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen eine bundesweite repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Stellenwert von Kulturangeboten in Deutschland durchgeführt. Axel Brüggemann hat sich das Ergebnis der Studie angeschaut. Sein Fazit: Mehr Neues wagen!
Nur 18 Prozent der Deutschen interessieren sich für Oper
Es verhält sich mit Theatern und Orchestern ein bisschen so wie mit Omas altem Dampfradio – es gehört irgendwie in ihr Wohnzimmer, aber wenn sie tot ist, können wir nichts mehr damit anfangen. Fasst man den „Relevanzmonitor Kultur“ der Bertelsmann-Stiftung zusammen, könnte man sagen: 91 Prozent der Menschen wollen der kommenden Generation eine Kulturlandschaft vererben, mit der zwei Drittel der Erben aber gar nichts anfangen kann.
Hier erst einmal die Zahlen: 91 Prozent der Deutschen finden Theater und Orchester irgendwie wichtig, und ein Großteil der Deutschen findet, dass sie zur kulturellen Identität des Landes gehören. Das ist gut.
Aber genutzt werden die Institutionen nur wenig: Während 42 Prozent der Befragten Interesse an einem Zoobesuch haben, interessieren sich nur 18 Prozent für Oper. Und nur 12 Prozent aller Deutschen haben im letzten Jahr die eine Oper auch real besucht. Ein Drittel geben an, noch nie in der Oper oder im Ballett gewesen zu sein. Im Zoo waren letztes Jahr immerhin 27 Prozent der Menschen.
Solidarisieren mit Kultur ist einfach, Engagieren umso schwerer
Matthias Meis vom Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung war früher in der sogenannten „Entwicklungshilfe“ tätig und sieht zu Recht Parallelen: „Es ist leicht, sich mit etwas offensichtlich Guten zu solidarisieren“, sagt er, „sich aktiv zu engagieren ist aber etwas ganz anderes“.
Tatsächlich ist die kulturelle Kluft zwischen Akzeptanz und Nutzung von Kultur offensichtlich. Und sie ist auch der Punkt, an dem die Institutionen jetzt ansetzen müssen. Es gibt eine breite Sympathie für Kultur. Aber wie können die Menschen in die Häuser gelockt werden?
Vielleicht hilft ein Blick auf das, was die Leute erwarten: Ein Großteil des Publikums fühlt sich ausgeschlossen, nicht angesprochen und fremd in Oper und Konzert. Das Marketing funktioniert also nicht. Und offensichtlich sind selbst die bezuschussten Preise zu hoch: 17 Prozent wollen kostenlose Karten, 28 Prozent günstigere Tickets. Müssen wir da vielleicht radikal umdenken? Ist es bei einer mit 150 Euro bezuschussten Karte nicht auch egal, ob sie am Ende fünf oder 50 Euro kostet?
Neue Stücke sind im Trend
Und noch etwas: Die Mehrheit der Menschen will im Theater lachen, aber das Publikum hat auch Ansprüche: 43 Prozent fordern explizit künstlerische Experimente, 61 Prozent politische Diskussionen auf der Bühne.
Spannend auch: Nur 63 Prozent wollen Klassiker sehen, 73 Prozent dagegen neue und aktuelle Stücke. Ein Trend, den die MET in New York längst bestätigt: Uraufführungen verkaufen sich hier besser als Verdis „Toubadour“. Und die Scala in Mailand hat gerade eine Gegenwartsoper über Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ in Auftrag gegeben.
Das Publikum erwartet mehr Bewegung an Deutschlands Bühnen
Also unterschätzt das Publikum nicht! Denn, auch das zeigt die Studie, es hat durchaus kreative Ideen: Ein großer Teil der Befragten wünscht sich mehr Offenheit im Theater, mehr Auftrittsmöglichkeiten für Laiengruppen, oder mehr Leben in der Bude!
Die Situation ist ernst, aber Kultur genießt noch ein hohes Vertrauen. Die Menschen scheinen trotzdem auch zu erwarten, dass unsere Bühnen und Orchester sich mit ihnen bewegen: in eine neue Zeit, in neue Welten und hin zu neuen Ideen.
Worum es jetzt geht? Um nicht weniger als um die kreative Weiterentwicklung der ewig gültigen Kultur.
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