Album-Tipp

Puccinis Turandot mit Jonas Kaufmann unter Antonio Pappano

Stand
AUTOR/IN
Manuel Brug
Manuel Brug (Foto: Pressestelle, Claudius Pflug)

Operngesamtaufnahmen unter Studiobedingungen sind heute eine Rarität. Eine davon fand letzten März im römischen Parco della Musica statt: Die Plattenfirma Warner spendierte ihrem langjährigen Stardirigenten Antonio Pappano Puccinis „Turandot“. Pappano versammelte zum Ende seines Vertrags mit dem Orchestra dell‘Accademia Nazionale di Santa Cecilia nicht nur eine Starbesetzung mit Jonas Kaufmann, Sondra Radvanovsky und Ermonela Jaho, sondern schloss auch erstmals in einer Komplettaufnahme den vollständigen Franco-Alfano-Schluss für den „Turandot“-Torso mit ein.

Audio herunterladen (11,3 MB | MP3)

Turandot Extendet Edition

Die Musik auf der CD ist gleichzeitig vertraut aber auch fremd. Jonas Kaufmann gibt sich endlich der eisumgürteten Prinzessin Turandot alias Sondra Radvanovsky zu erkennen. Er übernimmt die Rolle des Prinzen Calaf, Sohn des Timur. Jetzt könnte sie ihn töten lassen – wie alle ihre früheren Brautbewerber – denn sie kennt seinen Namen.

Doch in der stargespickten Studioneuaufnahme unter Antonio Pappano klingt „Turandot“, Giacomo Puccinis Opernschwanengesang, ein wenig anders als sonst – länger, ausführlicher. Denn dies ist die erste Komplettaufnahme, die den von Franco Alfano nachkomponierten Schluss, den der krebskranke Schöpfer nicht mehr vollenden konnte, zur Gänze einschließt – und nicht nur die um 108 Takte, etwa acht Minuten Musik, brutal gekürzte Strichfassung des Uraufführungsdirigenten Arturo Toscanini.

Italienes bestes Orchester

Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, es kann laut, aber auch subtil tönen, ebenso sein hervorragender Chor – obwohl bei den Aufnahmen im März 2022 in Aldo Rossis römischem Parco della Musica noch strenge, weiträumige Corona-Abstände eingehalten werden mussten. Pappano, gegenwärtig neben Altmeister Riccardo Muti der beste Dirigent italienischer Opern, hat sich die „Turandot“ lange aufgespart.

Jetzt spendierte sie ihm sein Plattenfirma Warner zum Auslaufen seines Vertrages bei Italiens bestem Orchester. Und im souverän modernistischen, dabei doch klangsinnlichen Zugriff Pappanos wird deutlich. „Turandot“ kann viel mehr sein als chinesisch bleiche Liebe-und-Tod-Parabel und ein heute zweifelhaftes Exotik-Abziehbild.

Drei Lösungen sonst droht der Tod

Die böse Turandot und der ach so verliebte Calaf rangeln um dessen Kopf. Drei Rätsel muss Jonas Kaufmann lösen, dann darf er Sondra Radvanovsky heiraten – oder er stirbt. Zum Glück nur in der Puccini-Oper. Nicht nur die Frauenbewegung hat um diesen chinesischen Singbesen einen Bogen gemacht, schon Puccini biss sich die Zähne aus an der bockigen Turandot, die wegen der Vergewaltigung einer Ahnin ihre Brautwerber einen Kopf kürzt.

Erst als sich die Sklavin Liù aus Liebe zum Prinzen Calaf umbringt, ist die royale Männerhasserin durch die Kraft amouröser Aufopferung besiegt – und wandelt sich zur fernöstlichen Isolde. Woran selbst der Komponist nicht glaubte. Seither mokiert man sich über die schnelle Verwandlung der im Liebesrausch losplärrenden Kaisertochter mit Gatten, vom Chor vulgär bejubelt.

Starbesetzung in der empfehlenswerten Aufnahme

Diese neue, komplette „Turandot“ ist zudem luxuriös besetzt. Sopran-Zärtlichkeit und Vibrato-Fragilität schenkt die immer noch viel zu unbekannte Albanerin Ermonela Jaho der grundgütigen, aufopferungswilligen Sklavin Liù. Mit der US-Diva Sondra Radvanovsky, die der Turandot erstaunlich viel Piano-Wärme leiht und Jonas Kaufmann als Calaf, beides Rollendebütanten, geht es furios zur Sache.

Sie singen mit glühender Eleganz und glaubwürdigem Engagement. Michele Pertusi als Calafs Vater Timur sowie drei junge, fein vokalabgesetzte Minister Ping, Pang und Pong komplettieren diese rundum empfehlenswerte Neuaufnahme. Die sogar als kleinen Casting-Witz noch den tollen Tenor Michael Spyres in der winzigen Greisenrolle des uralten Kaisers Altoum auffährt. Und Antonio Pappano quirlt Sahnesauce auf Doppelrahmstufe, macht aber auch die gepanzerte Brutalität, dieser Partitur stets spürbar.