Osterfestspiele in Baden-Baden | Opernkritik

Rattle legt sich für "Parsifal" ins Zeug

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Karsten Umlauf

Für Sir Simon Rattle sind es die letzten Osterfestspiele als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Unter seiner Leitung "blüht und duftet" die Musik, meint Karsten Umlauf.

Man kann beim Vorspiel dieses "Parsifals" noch ein paar Bedenken haben: ob es Sir Simon Rattle vielleicht mit der religiösen Mystik des Stücks etwas zu genau nimmt, dafür aber die ersten Töne im Wortsinn verstreichen und verwischen lässt. Als müsste sich die Welt der Gralsritter quasi erst aus einem musikalischen Nebel herauslösen

Wer den Philharmonikern unter ihrem scheidenden Chef aber an diesem Abend weiter zuhört, der findet kein einziges Anzeichen, dass dieses Orchester irgendetwas im Dunkeln wabern, einen Ton im Unbestimmten oder irgendeinen Klang schlecht ausgeleuchtet lassen möchte. Anders als in früheren Baden-Badener Auftritten erliegen sie auch nicht der Gefahr, mit ihrer Brillianz die Sänger zu übertrumpfen. Was bei Wagners vielleicht bester Orchesterpartitur schon verlockend genug wäre.

Regie lässt viel Raum

Rattle und die Philharmoniker, und nicht zuletzt die durchgängig sehr gut besetzten Solisten, sind aber auch gefordert, weil ihnen die Regie von Dieter Dorn so viel Raum lässt. Das Bühnenbild ist in seiner Schlichtheit und Offenheit erst einmal überzeugend: Der Wald, die Natur, die Burg der Gralsritter sind nur als Skizze auf große Holzelemente gemalt. Das Ganze hat den Charakter einer Probebühne. Auf Rädern werden die gezimmerten Einzelteile gegeneinander verschoben, stehen verschränkt über die ganze Bühnentiefe. Als hätte der streng christliche Ritus der GRalsritter mit ihrem verwundeten König Amfortas, als hätte ihr gesamtes Weltbild den Zusammenhang verloren.

Am Ende werden auch diese Einzelbilder noch Lücken und Löcher bekommen, sodass an vielen Stellen nur noch die Holzlatten zu sehen sind. Das Althergebrachte, die Tradition – man könnte auch sagen das Theater – ist sinnentleert. So weit, so klar. Theoretisch. Der „unwissende Tor“ Parsifal könnte demnach durch sein reines menschliches Mitleid nicht nur das Christentum regenerieren, sondern gleich auch noch für eine neue mitfühlende Theatersprache einstehen.

Sänger "auf der langen Bank"

Es ist nur so, dass Dieter Dorns Inszenierung einfach zu wenig anbietet, was neu, aufregend oder gar modern sein könnte. Eine Oper, bei der Solisten lange Zeit buchstäblich auf die lange Bank geschoben werden, weil sie gerade nichts zu singen haben, dafür aber gefühlte Ewigkeiten in der gleichen Pose verharren. Bei der einerseits Parsifal am Ende in voller Rittermontur dahergescheppert kommt, bei der sich aber andererseits die überbordend sinnliche Zauberwelt des Magiers Klingsor, die ihn vom tugendhaften Weg abbringen soll, in grauen und blauen Stelen präsentiert. Sie lassen kaum Assoziationen zu, außer peinlicherweise die Erinnerung an das Berliner Holocaustmahnmal.

Musik blüht und duftet

Es hilft nicht, dass Dorn das Ganze offensichtlich durch die Perspektive der ambivalenten Zauberin Kundry erzählen will. Die Figur des Urweibs, die ein Fluch an die Unterwelt bindet, die aber ebenso nach Erlösung strebt wie die Ritter. Anfangs sieht man sie Maskengesichter bekämpfen und am Ende fragende Blicke ins Publikum werfen, jeweils vor dem Vorhang. Ist der ganze „Parsifal“ vielleicht nichts anderes als Kundrys Traum? Dafür bietet der Rest des Abends dann doch keine Grundlage und ist in seiner Szenerie einfach zu dürftig. Positiv gesagt, die Regie tut der musikalischen Seite dieses Parsifal nicht weh. Denn die blüht und duftet, genau geführt vom warmen Kammermusikton bis zum vollen Breitwandsound. Rattles Wagner ist alles andere als erlösungsbesoffen. Und trotzdem eine Erleuchtung.

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Karsten Umlauf