Musikthema

Oper und Transstimme: Oper-Wrestling-Show „It's a Mass“ in Hamburg

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AUTOR/IN
Eva Morlang

In der Oper sind den Stimmfächern oft bestimmte Rollen zugeteilt: die Tenöre sind die mutigen Helden, die Sopranistinnen reine unschuldige Prinzessinnen. Mit solchen Klischees sind Sängerinnen und Sänger nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne konfrontiert.

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Schmaler Grat beim Vorsingen

Die Liste der ungeschriebenen Regeln beim Vorsingen für eine Opern-Rollen ist lang. Besonders für Frauen, aber auch für die männlichen Stimmfächer.

Man dürfe nicht zu auffällig auftreten, gleichzeitig aber auch nicht ganz unauffällig, sonst würde man wie ein Dienser aussehen, erzählt der Tenor Holden Madagame. Man müsse immer etwas ein bisschen anders machen, aber nicht zu sehr.

Ausstieg aus der Schublade

Der Tenor Holden Madagame kennt beide Seiten. Er war Mezzosopran vor seiner Transition, also seiner Geschlechtsumwandlung. Die Schubladen weiblich und männlich waren ihm schon lange zu eng. 

„Es gibt keine Möglichkeit auch für Kostüme oder für zum Beispiel Konzert-Verkleidungen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Man muss einfach wählen. Das macht mich und andere sehr, sehr müde. Und manche steigen einfach raus.“

Impressionen aus It's a Mass von Kerstin Stee (Foto: Pressestelle, Fabian Hammerl)
Holden Madagame (Tenor) setzt sich mit seiner Geschichte in „It's a Mass“ auseinaden.

Oper über Missstände

Es ist die tiefe Liebe zur Oper, die den Tenor trotzdem weitermachen lässt. Aber die Liebe ist nicht bedingungslos. Auch die Musiktheater-Regisseurin Kerstin Steeb liebt die Oper, aber will, dass sich etwas ändert. Nun hat sie über die Missstände, die sie stören, ein Stück gemacht.

Im Lockdown habe sie eine Recherche über Diskriminierungserfahrungen von Sängern und Sängerinnen gemacht, um aus der eigenen Bubble herauszukommen. Die daraus resultierenden Geschichten, verarbeite sie nun in der Performance. Themen hierbei sind Ableismus, Rassismus, Sexismus, Trans-Feindlichkeit und Bodyshaming, erzählt die Regisseurin.

Podcast zu Stimme, Geschlecht und Sexismus in der Oper mit Kerstin Steeb

Kampf gegen Schikane und Verletzung

Bei der Premiere von It’s a Mass am ist der Bühnenboden im Kampnagel Hamburg mit Gummimatten ausgelegt. Eine zentrale Treppe und Podeste für die Instrumente bilden eine Art Arena. Auf den Matten wird gekämpft – gegen Schikane und Verletzung, die die Sängerinnen und Sänger selbst erlebt haben.

Die Schwarze Sängerin Isabel Wamig kämpft gegen die Unsichtbarkeit, die Sopranistin Lisa Florentine Schmalz gegen die Parade-Rolle ihres Stimmfachs: Pamina – die sie als Feministin einfach nicht nachempfinden kann. Tenor Holden Madagame kämpft gegen einen Plastikstuhl – weil ihn immer wieder Regisseure auf Grund seiner Körpergröße auf einen Stuhl stellen wollen.

Impressionen aus It's a Mass von Kerstin Stee (Foto: Pressestelle, Fabian Hammerl)
Gummimatten am Boden ermöglichen den Wrestling-Kamp gegen das Schubladendenken.

Schmerz in kreative Arbeit verwandelt

Es sind bittere Geschichten, aber die Art wie sie hier verhandelt werden, bringt das Publikum zum Lachen. Für diese Offenheit und Verletzlichkeit brauchte es großes Vertrauen – und Arbeit auf Augenhöhe mit der Regisseurin.

„Ganz intime Gespräche [haben] einfach was aufgemacht, auch einen Schmerzpunkt getroffen und dann haben wir es gemeinsam total gut geschafft, das produktiv zu nutzen und umzuwenden in eine kreative Arbeit und auch in eine ganz schöne Unvorsichtigkeit, die wir miteinander entwickelt haben.“

Geschichte der eigenen Identität

Holden kann in dieser Produktion zeigen, wie komplex seine Geschichte als queere Trans-Person ist und welche Beziehung er zu seiner früheren Identität und seiner früheren Mezzo-Sopranstimme hat. 

„Also ich versuche das nie zu leugnen, aber viele verstehen das einfach nicht. Und es ist schwierig das jemandem zu erklären, der wirklich absolut keine Erfahrung mit Transmenschen hat, dass ich eigentlich meine vorherige Selbst liebte.“

Schublade: Männlichkeit

Mit sogenannten Hosenrollen, wie Octavian, hat sich Madagame identifiziert. Auch die Musikwissenschaftlerin Anke Charton von der Universität Wien findet diese Rollen reizvoll.

„[Bei Cherubino z. B.] geht es um eine Art klangliche Darstellung von Männlichkeit, die man ‚echten Männern‘ nicht zumuten kann anscheinend, ohne dass die Fiktion dadurch gebrochen wird.“

Countertenöre im 21. Jahrhundert wieder gefragt

Jahrhundertelang war hoher Gesang von Männern als schön empfunden worden. Nicht nur Kastraten, auch nicht-operierte Männer sangen in den Lagen und mit der Technik, die wir heute als Countertenor bezeichnen. Doch das Stimmfach gerät außer Mode, wird im 20. Jahrhundert geradezu verunglimpft. 

Heute sind Countertenöre wieder gefragt. Johannes Euler, der Counter bei It’s a mass, ist der einzige im Cast, der keine Diskriminierung erlebt hat. Auch wenn viele Menschen überrascht sind, wenn sie zum ersten Mal einen Counter hören.

„Meine Stimme oder mein Fach ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ nennen, das ist unnötig. Ich singe und es macht Spaß und es ist schön.“

Happy End

Auch die Inszenierung von It’s a mass endet versöhnlich. Nach all den anstrengenden Kämpfen besingen die fünf Sängerinnen und Sänger das, was sie verbindet, und blubbern alle gemeinsam in einer großen Wasserschüssel mit Lax Vox Schläuchen, um die Stimmlippen zu entspannen.

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