Kommentar: Bühne und Inklusion

Längst überfällig: Bühnenwerke in Leichter Sprache

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AUTOR/IN
Hannah Schmidt

Die Münchner Kammerspiele haben Sophokles' „Antigone“ in Leichter Sprache aufgeführt. Auch immer mehr Opernhäuser gehen den Schritt hin zu Inszenierungen in Leichter Sprache. Ein wichtiger Schritt, findet Hannah Schmidt.

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Hätten Sie Antigone beim ersten Lesen verstanden?

„Nie nämlich, weder, wenn ich Mutter
Von Kindern wäre oder ein Gemahl
Im Tode sich verzehret, hätt' ich mit Gewalt,
Als wollt' ich einen Aufstand, dies errungen.“

Und – haben Sie das verstanden, beim ersten und einzigen Lesen? Auf der Theaterbühne sagt Antigone diesen Satz ein einziges Mal. Dieses Geschachtel ist Teil eines von Antigones großen Monologen in Sophokles' gleichnamigem Drama.

Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der Menschen sprachliche Konstruktionen wie diese ad hoc und ohne sich groß konzentrieren zu müssen, verstanden haben. Heute jedenfalls trifft das auf die Allermeisten nicht mehr zu.

Und selbst wenn man gerne so tut, als hätte man die genialischen Wortschwalle durchdrungen, seien wir ehrlich, das ist hin und wieder gelogen.

„Anti·gone“ mit Johanna Eiworth und Johanna Kappauf (Foto: Pressestelle, Münchner Kammerspiele / Foto: Judith Buss)
Nele Jahnke inszeniert für die Münchner Kammerspiele den Klassiker in Leichter Sprache: „Anti·gone“ basiert auf dem 2.400 Jahre alten Originaltext von Sophokles und der Fassung von Jean Anouilh (1946). Die Hauptrolle spielt Johanna Kappauf (rechts, mit Johanna Eiworth).

Sperrige Sprache ist nicht mehr zeitgemäß

Was die Münchner Kammerspiele nun gemacht haben, ist nicht nur ein interessanter Versuch. Es war auch überfällig, dass mal versucht wird, Klassiker wie „Antigone“, die „Odyssee“ oder „Faust“ in Leichte Sprache zu übersetzen. Davon profitieren nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern am Ende das ganze Publikum.

Die Zeit ist vorbei, in der vermeintlich perfektes Verständnis sperriger Sprache ein Statussymbol war. Mittlerweile ist es absolut keine Schande mehr, Hölderlin, Nietzsche, Hegel oder auch Wagners Stabreime zu lesen und ganz ehrlich zuzugeben: Das habe ich nicht verstanden.

Auf dieser Grundlage entstehen die interessantesten Gespräche und Auseinandersetzungen.

Ist literarische Qualität von der Länge der Sätze abhängig?

Gerne bringen Kritikerinnen und Kritiker das Argument, durch die Übersetzung in Leichte Sprache ginge literarische Qualität verloren. Was für eine Heuchelei!

Als wäre das Wesensmerkmal von Qualität, dass sie nur einer bestimmten kleinen Gruppe hochgebildeter Menschen zugänglich ist. Eine Kunst aber, die sich durch ihren Grad an Unzugänglichkeit definiert, hat ein Problem.

Leichte Sprache bringt Tiefe und Direktheit

Es gibt haufenweise Beispiele von Dichterinnen und Dichtern, die in Leichter Sprache große Werke erschaffen haben – einer von ihnen war Wolfgang Borchert. Kurze Sätze, klare Worte, manchmal fast kindlich. Die Tiefe, die sich durch diese Reduktion ergibt, ist enorm.

Und auch die Münchner Antigone bekommt durch die Übersetzung eine ungewohnte Direktheit. Sie wird eigentlich nur noch größer, je mehr Menschen im Theater und Opernhaus ihren Worten folgen und sie verstehen können.

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