Musikstück der Woche vom 02.06.2014

Im Rausch des Lebens

Stand
AUTOR/IN
Katharina Höhne

Peter Tschaikowsky: Violinkonzert D-Dur op. 35

"In solchem Gemütszustand verliert das Schaffen gänzlich das Gepräge der Arbeit", schrieb Peter Tschaikowsky 1878 euphorisch seiner Gönnerin Nadeshda von Meck. Wie im Rausch arbeitete er am Genfer See an seinem Violinkonzert D-Dur, das pure Lebensfreude ausdrücken sollte. Pure Lebensfreude! Dass Tschaikowsky die noch einmal fühlen würde, hatte der feinfühlige Komponist nicht für möglich gehalten. Zu tief war das seelische Loch, in das er kurz zuvor gefallen war.

Die deutsche Violinistin Viviane Hagner hat Tschaikowskys emotionsgeladenes Konzert unter der Leitung von Karel Mark Chichon mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern aufgeführt, am 25. November 2012 in dem Gyeongnam Culture and Arts Center in Jinju, Südkorea.

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Vom melancholischen Tondichter

Peter Tschaikowsky war ein Melancholiker, sensibel  und dünnhäutig. Er zweifelte oft und viel, doch am meisten an sich selbst. Die Musik blieb zeitlebens sein Ventil, genau wie die mehrwöchigen Reisen, zu denen er immer dann aufbrach, wenn ihm seine Gedanken und Gefühle kaum noch Luft zum Atmen ließen. Als Tschaikowsky 1878 den Frühling in der Schweiz verbrachte, lag eine schwere Depression hinter ihm. Aus Scham, seine Homosexualität öffentlich bekannt zu machen, hatte er Antonia Miljukova geheiratet, eine ehemalige Schülerin, wie er behauptete. Die Ehe, die Ruhe in sein Leben bringen sollte, hielt drei Monate. Zu groß war der innere Kampf des Komponisten etwas Unrechtes zu tun, um der Gesellschaft zu gefallen. 

Dass Tschaikowsky keine Frauen liebte, wurde ihm bewusst, als er Anfang der 1870er Jahre Iosif Kotek, Violinist und Kompositionsstudent, am Moskauer Konservatorium kennenlernte. Der junge Mann löste etwas in Tschaikowsky aus, das er kaum in Worte fassen konnte. Er sei so verliebt, schrieb er Nadeshda von Meck, als er sich paradoxerweise im Jahr seiner Hochzeit erstmals zu Kotek bekannte. Kotek begleitete Tschaikowsky auch in seinen Genesungsurlaub an den Genfer See. Mit ihm an seiner Seite gelang es dem russischen Komponisten die Krise zu überstehen und zu neuer, scheinbar grenzenloser Lebensfreude und Schaffenskraft zurückzufinden. "Bisher hielt ich mich fest an die Regel, niemals eine neue Arbeit anzufangen, solange die alte nicht beendet war", schrieb er über die ersten Takte des berühmten Violinkonzerts. "Aber diesmal geschah es, dass ich die Lust in mir nicht bezwingen konnte." So rauschhaft der Kompositionsprozess verlief, so problematisch gestaltete sich die Uraufführung. Der ungarische Violinist Leopold von Auer, dem Tschaikowsky das Stück anvertraute, lehnte es ab. Es sei unspielbar, sagte er, er wolle es bearbeiten. Die Bearbeitung lief ins Leere. Erst zwei Jahre später nahm sich der russische Geiger Adolph Brodsky Tschaikowskys Komposition an und führte es auf. Wo und wann genau ist nicht eindeutig datiert.

Obwohl das Violinkonzert heute zu den bekanntesten und meistgespielten Werken gehört, wurde es zu Tschaikowskys Lebzeiten von der Presse zerrissen. Eduard Hanslick, DER Musikkritiker jener Zeit, sagte, dass die Violine darin nicht mehr spiele sondern nur noch zause, zupfe und bläue. Er behielt insoweit Recht, als dass das Konzert voller technischer Tücken steckt, die jeden Violinisten an die Grenzen seines Könnens treibt. Was Hanslick jedoch als Zausen oder Bläuen abtat, waren Tschaikowskys künstlerische Mittel, die eigene innere Zerrissenheit auszudrücken. Auf höchst expressive Art treffen in seinem Konzert tiefer Schmerz – lyrisch und melancholisch – auf neu gewonnene Lebensfreude – leidenschaftlich und pulsierend. Brodsky ließ sich von Hanslick nicht beirren. Der Reiz des Stückes lag seiner Meinung nach in seiner Kritik: der Virtuosität des Geigers und der emotionalen Vielfalt der Musik. "Man kann es endlos spielen und wird nicht müde", sagte Brodsky, dem Tschaikowsky aus tiefer Dankbarkeit das Konzert später widmete.

Viviane Hagner

"Eine sorgsame und gleichzeitig brillante Geigerin", titelt die Berliner Morgenpost über die deutsche Musikerin Viviane Hagner. Mit ihrem nachdenklichen und leuchtenden Spiel gehört sie zu den bedeutendsten Violinisten unserer Zeit. 1976 in München geboren, debütierte sie bereits als 13-Jährige mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta. Seitdem spielt sie mit den weltweit besten Orchestern wie den Berliner Philharmoniker, den New Yorker Philharmonikern oder dem Leipziger Gewandhausorchester. Viviane Hagner hat bereits mehrere CDs erfolgreich eingespielt und ist ein beliebter Gast bei internationalen Musikfestivals wie den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern. Darüber hinaus engagiert sich die Violinistin für die Vermittlung klassischer Musik. Sie ist Patin des bundesweiten Projekts „Rhapsody in School“. Seit 2009 war Viviane Hagner Professorin für Violine an der Universität der Künste Berlin und wechselte 2013 in gleicher Position an die Hochschule für Musik Mannheim.

Die Deutsche Radio Philharmonie

Die Deutsche Radio Philharmonie ist das jüngste deutsche Rundfunk-Sinfonieorchester. 2007 aus der Fusion der beiden traditionsreichen ARD-Klangkörper, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (SR) und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern (SWR) entstanden, hat das Orchester in kürzester Zeit ein eigenes Profil gewonnen und sich seinen Platz unter den renommierten deutschen Rundfunkorchestern erspielt. Programmschwerpunkte bilden neben dem Vokalbereich das klassisch-romantische Repertoire sowie die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Auftragskompositionen erweitern das Repertoire. Chefdirigent ist seit der Spielzeit 2011/12 der Brite Karel Mark Chichon.

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Katharina Höhne