Musikstück der Woche vom 1.12.2014

Erst transpirieren, dann inspirieren

Stand
AUTOR/IN
Lea Roller
Doris Blaich

Robert Schumann: Streichquartett F-Dur op. 41 Nr. 2

"Nimm meinen herzinnigsten Kuß, deren ich Dir tausend geben möchte für die Freude, welche Du mir heute verschafftest" schreibt Clara Schumann an ihrem 23. Geburtstag an ihren Mann. Das schönste Geburtstagsgeschenk: Drei brandneue Quartett-Kompositionen, die Robert Schumann noch am selben Abend in einem Hauskonzert aufführen lässt. Das zweite dieser Quartette (in F-Dur) ist unser Musikstück der Woche, gespielt vom Doric String Quartet im Asamsaal von Schloss Ettlingen; das Konzert war am 3.12.2010.

Mission possible!

Mission: In knapp zwei Monaten drei genialische Streichquartette komponieren.
Juni – Juli 1842: Robert Schumann, Mission erfüllt.
So oder so ähnlich könnte man die Geschichte von Robert Schumanns ersten und einzigen drei Streichquartetten darstellen. Es wirkt, als habe er sich einer neuen Gattung angenommen und ohne lange zu fackeln Meisterwerke aus dem Ärmel geschüttelt.

Komponist Robert Schumann (Foto: SWR, SWR -)
Robert Schumann

Wenn es doch so einfach wäre! Auch wenn Schumann nur knapp zwei Wochen für jedes seiner drei Streichquartette op. 41 Nr. 1-3 benötigte, den Werken ging ein langer Prozess voraus. Denn Schumann folgte dem Prinzip, die Klassiker einer Gattung erst zu studieren und am besten selbst zu musizieren. Dann erst wagte er sich an eigene Versuche.

Das Klavier sei ihm "zu eng" geworden, hatte er bereits 1838 – vier Jahre zuvor – zu seiner Frau Clara gesagt. Schumann hatte die Streichquartette Beethovens und Mendelssohns näher kennengelernt, dann auch die von Haydn und Mozart. Um noch mehr über die Königsdisziplin der Kammermusik zu erfahren, veranstaltete er in seinem eigenen Wohnzimmer sechs „Quartett-Morgen“ mit dem legendären David-Quartett des Leipziger Gewandhauses. So lernte er auch neuere Streichquartette kennen: von Schubert, Spohr, Cherubini und anderen.

Die großen Meister: Beethoven und Mendelssohn

Als Fazit dieser zahlreichen Erfahrungen blieb ihm Beethoven das Maß der Dinge. 1839 begann Schumann dann mit eigenen Versuchen; offensichtlich vielversprechenden, immerhin bemerkte er zu einem: "so gut wie Haydn!". Trotzdem blieb es nur bei wenigen Takten; die Studienphase war noch nicht vorüber. Noch drei Jahre studierte Schumann die Quartette der großen Meister mit Clara vierhändig auf dem Klavier, dann erst war er reif für eigene Quartette: innerhalb weniger Wochen brachte er seine sämtlichen Quartette zu Papier. Alle drei Quartette op. 41 sind Mendelssohn gewidmet: "Seinem Freunde Felix Mendelssohn-Bartholdy in inniger Verehrung". Mendelssohn war Schumanns Vorbild, ihm fühlte er sich besonders verbunden in dem Anliegen, mit seinen Quartetten an Beethoven anzuknüpfen und trotzdem kein epigonenhafter Abklatsch zu sein.

Zur Musik

1. Satz: musikalisches Multitasking
In Schumanns F-Dur-Quartett gibt es viele Stellen, die an Mendelssohn erinnern – zum Beispiel der Anfang des ersten Satzes, der ein überschwängliches, energiegeladenes Hauptthema formuliert, das mit dem Kopf durch die Wand nach oben drängelt, und von rasenden Begleitfiguren in der Bratsche unruhig vorangetrieben wird. Überhaupt passiert in den Begleitfiguren und in den Unterstimmen hier viel gleichzeitig, es ist ein sehr dichter musikalischer Satz, eine Art Zeitraffer-Musik, die auch in ihren Rhythmen ausgesprochen reichhaltig ist.

2. Satz: Lyrik für vier Instrumente
Der zweite (langsame) Satz ist ein Variationssatz. Das Thema stammt aus einem von Schumanns "Albumblättern" für Klavier, es ist ganz regelmäßig in wiegendem jambischen Rhythmus gehalten, es hat etwas Rezitierendes, wirkt fast wie ein antikes Gedicht, das fein ausharmonisiert ist – aus mehreren Strophen, die ganz regulär gebaut sind. Dann folgen vier große Variationen, in denen Schumann verschiedene Rhythmen gegeneinander stellt (teilweise auch kombiniert mit gezupften und gestrichenen Passagen) und in denen er vor allem mit der Harmonik eine große Intensität des Ausdrucks schafft.

3. Satz: Irrgarten für Elfen
Der dritte Satz ist ein Scherzo – es könnte fast von Mendelssohn sein, in dessen Scherzi man oft Elfen und Fabelwesen vorbeihuschen hört. Mendelssohns Elfen finden mühelos ihren Weg, Schumanns Elfen dagegen verirren sich in der Dunkelheit und in einer riesigen und weitverzweigten Tonarten-Landschaft – obwohl die äußere Struktur der Musik ganz klar ist und wie ein schlichtes Lied eine einfache dreiteilige Form hat.

4. Finale: Bitte erst jetzt klatschen!
Im letzten Satz findet man nicht den Hauch eines einprägsamen Themas. Auch hier rast die Musik vorwärts (Allegro molto vivace ist die Tempo- bzw. Charakterangabe: Fröhlich-schnell und sehr lebendig). Schumann spielt mit dem Kontrast zwischen einem ganz und gar oberstimmenorientierten Satz, wo die erste Geige fast wie in einem Violinkonzert die Vorherrschaft übernimmt und mit Doppelgriffen und Akkorden beinah orchestrale Wirkungen entstehen (später ist dann auch das Cello mit sehr virtuosen Passagen beteiligt). Und als Gegenstück erklingen extrem zerbrechliche, durchsichtige Abschnitte, in denen auch das Tempo zur Ruhe kommt. In diesem Satz hat Schumann seine Verehrung für Beethoven in Töne gefasst: mit einem Zitat aus Beethovens Liederzyklus "An die ferne Geliebte". Der letzte Satz ist der einzige, der mit großer Schlussgeste endet. Es war Schumann eine schreckliche Vorstellung, dass das Publikum zwischen den Sätzen klatschen könnte, und in diesem Quartett hat er das Reinklatschen dadurch vermieden, dass die Schlüsse jeweils sehr leise und zurückhaltend sind. Im Finale ist dann aber die Aufforderung zum Applaus einkomponiert.

Das Doric String Quartet

"Eines der besten jungen Streichquartette" nannte das Gramophone Magazine das Doric String Quartet. Seine Mitglieder sind "Musiker, die Faszinierendes zu sagen haben". Das Doric String Quartet gilt als eines der führenden britischen Streichquartette der neueren Generation. Sein Namensgeber ist der antike dorische Architekturstil, schlicht und leicht. 1998 gegründet, spielt das Quartett heute in der Besetzung Alex Redington und Jonathan Stone (Violinen), Hélène Clément (Viola; in unserem Mitschnitt spielt noch der Bratscher der älteren Besetzung: Simon Tandree) und John Myerscough (Violoncello). Das weltweit aktive Quartett gewann die Osaka International Chamber Music Competition, den 2. Preis der Premio Paolo Borciani International String Quartet Competition sowie den Ensemble Preis bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern.

Das Doric String Quartet arbeitete mit Künstlern wie Ian Bostridge, Mark Padmore, Chen Halevi und dem Florestan Trio zusammen. Neben seiner regen Konzerttätigkeit in Europa und seit 2010 auch in den USA, führten Tourneen das Quartett nach Japan, Israel, Australien und Neuseeland.

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Lea Roller
Doris Blaich