Musikstück der Woche vom 9.8. bis 16.8.2010

Paganinis Instrumente in japanischer Hand

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AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Stradivaris Instrumente gelten als die wertvollsten überhaupt. Erst recht, wenn sie aus dem Nachlass des legendären Geigers Niccolò Paganini stammen, die heute das Tokyo String Quartet hat.

Bei seinem Ettlinger Schlosskonzert am 28.11.2008 spielte das Tokyo String Quartett mit seinem unverwechselbaren Stradivari-Paganini-Klang unter anderem Maurice Ravels einziges Streichquartett F-Dur.

Fauré gewidmet - Debussy gefolgt

Es ist Maurice Ravels 'gefühltes' Gesellenstück, denn gewidmet hat der junge Komponist das Streichquartett F-Dur seinem „lieben Meister Gabriel Fauré“. Tatsächlich hatte Ravel das Studium bei Fauré am Pariser Conservatoire bereits abgeschlossen, als er sich 1902 an die Komposition seines ersten und einzigen Streichquartetts machte. Vergeblich bemühte er sich in dieser Zeit immer wieder um den begehrten Rom-Preis, den er nie erhalten sollte, ein Umstand, der 1905 als „Affäre Ravel“ eskalierte und den Konservatoriums-Direktor seine Stelle kostete.

Obwohl Ravel seinen Lehrer Fauré mit der Widmung ehrte, orientierte er sich bei der Komposition seines F-Dur Quartetts an der Tonsprache eines anderen berühmten Kollegen, nämlich an der von Claude Debussy bzw. dessen 10 Jahre zuvor mit großem Erfolg aufgeführten Streichquartett. So wundert es kaum, dass nach der Aufsehen erregenden Uraufführung 1904 in Paris Fauré kritische Worte fand und Debussy im gleichen Moment hellauf begeistert war.

In jedem Fall entwickelte sich Ravel in seinem Streichquartett künstlerisch stark weiter. Er sagte selbst, das Werk entspreche seinem „Willen nach musikalischer Konstruktion, die, obwohl nur unvollkommen verwirklicht, dennoch viel deutlicher als in meinen früheren Kompositionen in Erscheinung tritt.“ Konkret heißt das: Ravel formte hier an stilistischen Charakteristika, die zu seinen Markenzeichen werden sollten, wie etwa sein ausgeprägter Klangsinn, ständige Modifizierung der Themen und vor allem jene harmonische Mehrdeutigkeit, die Ravels Melodien schillern und changieren lässt. Vor allem der langsame Satz, in dem Viola und Violoncello in höchsten Lagen spielen, da der Satz ausschließlich im Violinschlüssel notiert ist, sind solche raffinierten Klangeffekte zu finden. Ein brillantes Beispiel für rhythmische Finesse bietet das Finale, in dem Ravel verschiedene Taktarten kombiniert und dadurch eine metrische Unbestimmtheit erzeugt.

Tokyo String Quartet

Wie das wohl klang, wenn der 'Teufelsgeiger' Niccolo Paganini spielte? Bekannt ist, dass er im 19. Jahrhundert Instrumente des legendären Cremoneser Geigenbauers Antonio Stradivari erwarb, und zwar gleich so viele, um ein ganzes Streichquartett zu besetzen. Zusammen sind diese vier Instrumente ob ihres Klangs, aber auch ob ihrer Geschichte von unschätzbarem Wert. Denn: So klang Kammermusik im Hause Paganini.

Und heute klingt so das Tokyo String Quartett. Die vier Musiker aus New York nämlich spielen dank einer Leihgabe auf diesen Paganini-Instrumenten, und bei der Klasse dieses Ensembles wundert es nicht, dass die "New York Times" es jüngst wegen seines "wunderbar verfeinerten Klanges und der tadellosen und delikat modulierten Ensemblebalance" lobte.

Seit über 35 Jahren begeistert das Tokyo String Quartet Publikum und Musikkritik auf der ganzen Welt. Gegründet 1969 an der Juilliard School of Music in New York, besteht das Quartett heute aus dem Bratschisten und Gründungsmitglied Kazuhide Isomura, dem zweiten Geiger Kikuei Ikeda, der dem Quartett seit 1974 angehört und - seit 1999 - dem Cellisten Clive Greensmith. Seit Juni 2002 spielt das Tokyo String Quartet mit dem ersten Geiger Martin Beaver.

Neben dem klassischen Repertoire widmet sich das Tokyo String Quartet auch der zeitgenössischen Musik. So spielten sie beispielsweise die Uraufführung des ihnen gewidmeten Streichquartetts "Blossoming" des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa im März 2007 in der Kölner Philharmonie.
In ihrer amerikanischen Heimat setzen die vier Streicher auch in der neuen Saison ihre Konzerttätigkeit als "Quartet-in-Residence" am 92nd St. Y. - Center for the Arts in New York fort und werden in vielen wichtigen Serien zu Gast sein. Seit 1976 unterrichten die Mitglieder des Tokyo String Quartets an der Yale School of Music mit viel Engagement junge Streichquartette. Darüber hinaus gibt das Quartett auch regelmäßig Konzerte und Meisterkurse in Japan.
Das Tokyo String Quartett hat bisher mehr als vierzig geradezu legendäre Aufnahmen veröffentlicht, darunter die kompletten Quartette von Beethoven, Schubert und Bartók. Für seine Einspielungen von Brahms, Debussy, Dvorák, Haydn, Mozart, Ravel und Schubert erhielt das Quartett zahlreiche Preise und Ehrungen, wie z.B. den "Grand Prix du Disque Montreux", „The Best Chamber Music Recording of the Year“, Auszeichnungen der Zeitschriften Stereo Review und Gramophone, sowie sieben Grammy Nominierungen.

Und noch etwas ganz anderes: In den USA spielte das Tokyo String Quartett auch bei zahlreichen Filmmusiken und begleitete Fernsehprogramme, unter anderem die amerikanische Ausgabe der "Sesamstraße", "CBS Sunday Morning," und "CNN This Morning".

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Kerstin Unseld