Musikstück der Woche vom 17.11.2015

Freie Kunst statt Politik

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Sergej Prokofjew: Sonate für Flöte und Klavier D-Dur op. 94

Zerstörung. Verzweiflung, Wut, Tod... Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs veränderte sich das Leben von Millionen von Menschen. Viele verloren ihre Familie, ihre Hoffnungen, ihre gesamte Existenz. Der russische Komponist Sergej Prokofjew hatte Glück und wurde rechtzeitig evakuiert. In Perm, nordöstlich von Moskau, schrieb er 1943 die Flötensonate D-Dur op.94 – paradoxerweise eines seiner freundlichsten Werke. Der Soloflötist Michael Martin Kofler hat Prokofjews Sonate am 6. November 2013 mit Rudolf Meister am Klavier im Kammermusiksaal der Musikhochschule Mannheim aufgeführt.

Der Heimkehrer

Sergej Prokofjew war ein Weltenbummler. England, Frankreich, USA, Japan – unersättlich reiste er durchs Land, um seine Musik in die Kulturzentren der damaligen Zeit zu bringen. Doch so sehr er das Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit genoss, so groß waren das Heimweh, das ihn mancher Tage begleitete, und die Sehnsucht irgendwo an- bzw. nach Hause zu kommen. In den 1930er Jahren wurden sie immer stärker, sodass Prokofjew beschloss, nach Russland zurückzukehren und sich in Moskau niederzulassen. Doch der Zeitpunkt war kein günstiger. Der Zweite Weltkrieg fing gerade an das Leben umzukrempeln und viele kreative Köpfe aus den Zentren zu vertreiben. Prokofjew ging ins Uralvorland, nach Perm, direkt an der Karma, einem der größten Nebenflüsse der Wolga.

Der Freigeist

Prokofjew gehörte nie zu jenen Künstlern, die Kunst und Musik, Literatur oder Poesie als Ventil für die Sorgen und Ängste des Lebens benutzten. Im Gegenteil. Zeitlebens versuchte er seine Werke nicht damit zu "belasten". Er ließ sich auch nicht von der Schwere der politischen Gesinnung seines Heimatlandes einschränken, von Stalin und seinem totalitären Regime, genauso wenig von den Schrecken und der Brutalität des Zweiten Weltkriegs. Seine Musik sollte frei sein, wie die Sonate für Flöte und Klavier op. 94 beweist, die er 1943 schrieb. Sie klingt zumindest beim ersten Hören heiter und unbeschwert, als stamme sie nicht aus dieser geschichtsträchtigen Zeit. Die Sonate bündelt Prokofjews Stil: Das Klassische und Moderne, das Bewegte und Lyrische, und fordert dazu jeden Flötisten technisch heraus. Nur bei genauem Hinhören spürt man, dass sie nicht ganz so frei ist, nicht ganz so flüssig und hell, dass es durchaus Brüche gibt, verzerrte Harmonien und etwas Dunkles. Die Uraufführung wurde übrigens so erfolgreich, dass der russische Geiger David Oistrach Prokofjew um eine Adaption für Violine bat. Deshalb wird die Sonate op. 94 auch als "2. Violinsonate" bezeichnet.

Martin Michael Kofler (Flöte)

1966 in Villach geboren, absolvierte Martin Michael Kofler sein Flötenstudium mit Auszeichnung an der Wiener Musikhochschule sowie an der Musikakademie in Basel. Bereits während seines Studiums wurde er Soloflötist im Gustav-Mahler-Jugend-Orchester unter Claudio Abbado, 1987 berief ihn Sergiu Celibidache in gleicher Position zu den Münchner Philharmonikern, wo er bis heute tätig ist. Michael Kofler ist Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerber (ARD, Brüssel, Prag, Bari, etc.). Als Solist hat er weltweit mit mehr als 80 Orchestern unter namhaften Dirigenten konzertiert, u.a. James Levine, Sir Neville Marriner, Fabio Luisi und Herbert Blomstedt. Dazu wirkt er sowohl als Solist als auch Kammermusiker bei DVD, CD-, Rundfunk- und Fernsehaufzeichnungen mit. Michael Kofler betreut seit 1989 als Professor eine Konzertfachklasse mit größtem Erfolg an der Universität Mozarteum Salzburg.

Rudolf Meister (Klavier)

Der gebürtige Heidelberger Rudolf Meister schloss bereits mit 20 Jahren sein Studium an der Musikhochschule Hannover mit der Reifeprüfung ab. Ausgezeichnet durch mehrere Stipendien setzte er dieses an der renommierten Wiener Musikhochschule sowie der New Yorker Julliard School fort. Als Solist trat Rudolf Meister mit mehr als 30 Orchestern auf und spielte in kammermusikalischen Besetzungen mit Künstlern wie Isabelle van Keulen oder Wanda Wilkomirska. Seine Konzerte führten ihn um die ganze Welt, vom New Yorker Lincoln Center über das Metropolitan Theatre in Tokyo bis ins Wiener Konzerthaus. Dazu hat er zahlreiche CDs eingespielt. Mit 26 Jahren wurde Rudolf Meister als Professor für Klavier/ Klaviermethodik an die Musikhochschule Mannheim berufen, seit 1997 führt er die Hochschule als Präsident.

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Katharina Höhne