Musikstück der Woche vom 10.10.2016

Was nicht passt wird passend gemacht!

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Johannes Brahms: Zwei Rhapsodien für Klavier solo op. 79

Schon vor 200 Jahren drehte sich alles um die perfekte Vermarktungsstrategie. Denn freischaffende Musiker und Komponisten wie das gebürtige Nordlicht Johannes Brahms, gab es zuhauf. Um auf dem Markt zu überleben und sich von den anderen Mitbewerbern abzuheben, mussten sie sich durchsetzen, auch wenn das wie im Falle von Brahms' zwei Rhapsodien op. 79 hieß, Kompromisse einzugehen, die gegen anstatt für die eigene Musik sprachen.

Im Frühjahr 2009 hat die deutsche Pianistin Ragna Schirmer Brahms' Rhapsodien beim Festival "Internationale Pianisten" im Frankfurter Hof in Mainz gespielt.

Brahms, der Unentschlossene

Den Sommer verbrachte Johannes Brahms am liebsten in der Natur; auch 1879, als er in Pörtschach, einer kleinen Gemeinde am Wörtersee, Ferien machte. Brahms stand jeden Morgen früh auf, ging eine Runde schwimmen oder spazieren und setzte sich danach an den Schreibtisch, um ein paar Stunden zu komponieren. Fernab der großen Stadt genoss er die Ruhe und den Fluss der Ideen, wie er sagte. In Pörtschach entstand op. 79, zwei Stücke für Klavier solo. Brahms war sich lange unsicher, wie er sie nennen sollte, weil sie so anders waren, besonders, dass kein Name ihren Charakter traf. "Kleine Klavierstücke" und "Caprices" – das waren seine Favoriten; schlicht, schnörkellos und offen für individuelle Interpretationsversuche. 

Simrock, der Entschlossene

Bevor Brahms die Stücke an seinen Verleger Karl Simrock schickte, ließ er sie zunächst seiner guten Freundin Clara Schumann sowie der späteren Widmungsträgerin Elisabeth von Herzogenberg zukommen. Während erstere eher zurückhaltend blieb und sagte, dass sie sich wohl erst an diese Musik gewöhnen müsse, bevor sie ihre Euphorie darüber kundtue, war von Herzogenberg begeistert. Auch Simrock stufte Brahms Werke als „besonders“ ein, sodass er sie bereits zwei Monate, nachdem er sie das erste Mal in den Händen gehalten hatte, veröffentlichte. Nur mit Brahms Titelvorschlägen war er nicht einverstanden. In seinen Ohren klangen sie nichts aussagend und wenig gewinnbringend. Wer sollte sich darunter etwas vorstellen bzw. wer sollte so etwas kaufen wollen? "Rhapsodien" dagegen waren ein Hinhörer, fand er, und seit Franz Liszt mit seinem ungarischen Pendant in den 1850er Jahren der Musikwelt den Kopf verdreht hatte hoch im Kurs. Mit einem Titel wie diesem, versprach Simrock, würde Brahms auf dem Markt für Furore sorgen, sodass dieser, wenn auch etwas unsicher, dem Vorschlag des Verlegers zustimmte. 

"Rhapsodie" - alles andere als passend für Brahms' Musik

Bis heute sind sich Musiker und Wissenschaftler einig, dass die Bezeichnung "Rhapsodie" alles andere als passend für Brahms' Musik ist; und selbst Elisabeth von Herzogenberg wies darauf hin, dass dieser Titel den Werken widerspreche. Rhapsodie bezeichnet ein Stück, das an keine bestimmte Form gebunden ist. Die einzelnen Ideen und Themen darin scheinen lose, quasi improvisiert miteinander verbunden. Op. 79 ist dagegen alles andere als formal frei sondern eher in sich geschlossen. Während sich Liszt in seinen ungarischen Rhapsodien um einen besonders improvisatorischen Charakter bemüht hatte, strukturierte Brahms seine zwei Klavierstücke sehr klar, sodass sie dadurch wenig verspielt und frei sondern sehr verkopft wirken. 

Die erste Rhapsodie ist wie ein klassisches Rondo aufgebaut, auch wenn die Musik selbst den Zeitgeist der Romantik atmet. Das leidenschaftlich aber doch zurückhaltende Eingangsthema kehrt immer wieder und rahmt die einzelnen, sehr lyrischen Zwischenteile selbstbewusst ein. Die Musik scheint wie ein Fotoalbum, auf deren weißen Seiten die ausgeblichenen Schwarz-Weiß-Bilder kleben und an vergangene Zeiten erinnern. In der zweiten Rhapsodie hat sich Brahms an der klassischen Sonatenform orientiert, sodass sich darin zwei Themen kontrastierend begegnen: leidenschaftlich und stürmisch trifft auf nicht weniger leidenschaftlich dafür mehr süßlich, lyrisch, romantisch-melancholisch verklärt. 

Ragna Schirmer (Klavier)

Mit "leuchtenden Tönen", "sensibler Bravour" und "energischer Nobless" überzeugt Ragna Schirmer nicht nur in Deutschland Publikum und Presse, sondern weltweit. Immer wieder entdeckt sie in ihren Konzerten, die z.T. von ihr selbst moderiert werden, bekannte und weniger bekannte Kompositionen neu und stellt sie in moderne Zusammenhänge. Schirmer reist durch die wichtigsten Konzertsäle und spielt regelmäßig bei renommierten Festivals wie dem Heidelberger Frühling (artist in residence 2010), Beethovenfest Bonn, MDR Musiksommer, den Haydn-Festspielen Eisenstadt und den Salzburger Festspielen. Sie musizierte bereits mit namhaften Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin oder dem Gewandhausorchester Leipzig, unter der Leitung von u.a. Zubin Mehta, Sir Roger Norrington und Kurt Masur. Gleich zweimal gewann Ragna Schirmer den Leipziger Bachwettbewerb, was in dessen Geschichte bis heute einzigartig ist. Zahlreiche weitere Preise bei nationalen und internationalen Wettbewerben, begeisterte Rezensionen sowie zwei ECHO Klassik folgten. Bis heute lehrt sie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim sowie am "Latina August Hermann Francke" in Halle (Saale). 

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Katharina Höhne