Musikstück der Woche mit François-Xavier Roth

Ludwig van Beethoven: Große Fuge

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Über die Kunstfertigkeit von Beethovens "Großer Fuge" kann man nur staunen. Bei ihrer Uraufführung allerdings stieß sie auf Ablehnung. In unserem Musikstück der Woche dirigiert François-Xavier Roth das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg in einer Orchesterfassung dieses Wunderwerks.

Die Uraufführung: ein Flop

Der Komponist Ludwig van Beethoven (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - Oliver Berg)
Der Komponist Ludwig van Beethoven

Die "Große Fuge" war ursprünglich das Finale eines Streichquartetts (op. 130), das Beethoven im Auftrag des russischen Fürsten Nikolaus von Galitzin komponierte. Bei der Uraufführung am 21. März 1826 in Wien reagierte das Publikum zwiegespalten: die ersten fünf Sätze gefielen und mussten teilweise sogar wiederholt werden, der sechste Satz aber, die "Große Fuge", irritierte und befremdete das Publikum. Man fand sie zu konstruiert und zu anspruchsvoll. Außerdem sprengte die "Große Fuge" mit ihrem riesigen Umfang die Dimensionen: über 700 Takte, länger als eine Viertelstunde!

Rezensenten-Gift

Der Rezensent der Allgemeinen Musikzeitung nahm kein Blatt vor den Mund und gab sich gönnerhaft-chauvinistisch: "den Sinn des fugirten Finale wagt Ref. (der Referent) nicht zu deuten: für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch. Wenn die Instrumente in den Regionen des Süd- und Nordpols mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wenn sie sich unter einer Unzahl von Dissonanzen durchkreuzen, dann gibt es ein Concert, woran sich allenfalls die Marokkaner ergötzen können."

Eine Ersatzlösung

Beethovens Verleger Artaria fragte ihn – vielleicht als Folge dieser Polemik –, ob er nicht "anstatt der schwer fasslichen Fuge ein neues, den Ausführenden wie dem Fassungsvermögen des Publikums zugänglicheres letztes Stück" schreiben könne. Beethoven gab dieser Bitte erstaunlich widerspruchslos nach: er komponierte ein neues Finale und ließ das Quartett in dieser Form als op. 130 drucken. Die Fuge gab er später als op. 133 separat heraus – und bekam dafür natürlich ein extra Honorar.

Beethoven spürte wohl selbst, dass die revolutionäre Anlage dieses Satzes, seine emotionale und musikalische Energie den Rahmen eines Streichquartett-Finales sprengte. Seinem Freund, dem Geiger Karl Holz, vertraute er an, dass "diese Fuge ein außer dem Bereich des Gewöhnlichen, ja selbst seiner neuesten ungewöhnlichen Quartettmusik liegendes Kunstwerk sei, dass es für sich allein abgesondert dastehen müsse, auch allerdings eine eigene Opuszahl verdiene".

Formenspiele

Die "Große Fuge" lässt sich nicht in ein eindeutiges Interpretationsschema drängen.

Das Hauptthema tritt in vier verschiedenen Gestalten auf, die zu Beginn in einer "Overtura" nacheinander vorgestellt und dann in vier Einzelfugen, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, durchgeführt werden. Der Beethovenforscher Joseph Kerman sieht darin "eine disziplinierte Doppelfuge in B-Dur, eine hervorragend undisziplinierte Fuge in As-Dur, einen lyrischen Zwischenteil in G-Dur, der gar nicht als Fuge gelten kann, eine vierte Version des Grundthemas in einer simplen fast komischen Tanzpassage sowie einen langen Schlussabschnitt, in dem die diversen Themengestalten neckisch hervorgeschleudert und wieder fallengelassen werden."

Man kann die "Große Fuge" einerseits als Folge von Variationen sehen, denn das Fugenthema durchläuft etliche Veränderungen: verschiedene Tempi, Tonarten und kontrapunktische Techniken sorgen für unterschiedliche Satzcharaktere und Stimmungen. Man kann die Form aber auch als Überlagerung der Sonatenhauptsatzform und einer dreiteiligen Anlage verstehen.

Sicher ist jedenfalls eines: in ihrer Kunstfertigkeit überragt die "Große Fuge" bei weitem das Finale, das Beethoven als Ersatz für sein Streichquartett komponierte. Ob man als Schluss für Beethovens spätes Quartett op. 130 die Fuge wählt, oder das fasslichere zweite Finale, bleibt heute jedem Ensemble selbst überlassen.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Marco Borggreve)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Bis heute identifiziert es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-1999, dann übernahm Sylvain Cambreling. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze.

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SWR