Musikstück der Woche

Frieder Bernius dirigiert Jan Dismas Zelenkas „Missa Votiva“

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AUTOR/IN
Bettina Müller-Hesse

Die Goldene Hochzeit haben sie schon gefeiert: Seit über 50 Jahren leitet Frieder Bernius den Kammerchor Stuttgart. 50 Jahre unterwegs im Namen der historisch informierten Aufführungspraxis. Das bedeutet auch Repertoiresuche. Aufgespürt hat er da einen großartigen böhmischen Komponisten. Dienstort: Dresden!

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Ausbeutung am Dresdner Hof

Zelenka, frisch ausgebildet am Prager Jesuitenkolleg, kommt mit 21 Jahren als Kontrabassist an den Dresdner Hof. Dort übernimmt er mit der Zeit viele Aufgaben. Als er 50 ist, auch die des Kapellmeisters, kommissarisch zunächst, ohne Titel, ohne Entlohnung. Den Posten wird er schon noch offiziell bekommen, denkt er. Wird er nicht!

An ihm vorbei zieht der 20 Jahre jüngere Johann Adolf Hasse. So etwas demütigt und zehrt aus. Jan Dismas Zelenka wird krank.

Die „Dankesmesse“

Er erholt sich, aber er hat während der Krankheitszeit, so sagen es verschiedene Quellen, ein Gelübde abgelegt: Wenn er wieder zu Kräften kommt, wird er eine Dankesmesse schreiben.

Und so komponiert Zelenka die „Missa Votiva“, nach dem lateinischen Wort „votum“, auf deutsch „Gelübde“. Es wird seine größte und längste Messe mit über 70 Minuten. Seine Dankbarkeit kennt offensichtlich keine Grenzen.

Ein bisschen Oper

Zelenka ist ein Zeitgenosse von Bach. Seine Musik aber ist ganz eigen. Natürlich ist er ein guter Kontrapunktiker, besitzt aber auch viel Gespür für Dramaturgie. Und er verbindet das Alte mit dem Modernen:

In der „Missa Votiva“ etwa speist sich seine Tonsprache aus alten Kirchentonarten, aber auch aus den Melodien, die er aus dem nahe gelegenen Opernhaus am Zwinger in Dresden hört. Eine Messe mit Opernarien, die aber stets den liturgischen Text im Auge behalten.

Verstehen, was der Komponist geglaubt hat

Jan Dismas Zelenka war lange Zeit völlig vergessen. Da er nie offiziell Chef der Hofmusik war, wurde er schon zu Lebzeiten unterschätzt. Frieder Bernius ist einer, der Zelenka früh für sich entdeckt und aufgeführt hat.

Zelenkas geistliche Musik ist ihm nah, sein Vater war Pfarrer, die Mutter Kirchenmusikerin. Aber für die Interpretation, sagt Bernius, spiele das keine Rolle. Für ihn sei es wichtig, zu erkunden, was der Komponist über die von ihm vertonten Texte denke, und wie er das klanglich umgesetzt habe.

Frieder Bernius und der Kammerchor Stuttgart

Frieder Bernius gründete 1968 den Kammerchor Stuttgart, mit gerade mal 20 Jahren. In Stuttgart war er ab der 1970er Jahre ein Vorkämpfer für die historisch informierte Aufführungspraxis. Seither hat Frieder Bernius mit seinen Ensembles – dem Kammerchor, der Hofkapelle und dem Barockorchester Stuttgart – international große Beachtung gefunden. Besonders die Klarheit und Transparenz des Chorklangs schätzt man auf der ganzen Welt.

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Bettina Müller-Hesse