Musikstück der Woche vom 6. bis 12. Juni 2011

Wunderschön spröde und sperrig

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Wie Monolithen stehen die beiden Violoncello-Sonaten op. 102 im von Sorgen geplagten und von Werken armen Jahr 1815 in Ludwig van Beethovens Leben.

Bei ihrem Bruchsaler Schlosskonzert im barocken Kammermusiksaal spielten am 23.01.2009 Daniel Müller-Schott und Christopher Tainton die erste dieser Cello-Sonaten, die Beethovens Zeitgenossen zum "Ungewöhnlichsten und Sonderbarsten" zählten.

Für "meine werthe Gräfin"

In einem Brief an seinen Freund Amenda vom 12. April 1815 schrieb Beethoven in Wien: "Ich kann sagen ich lebe beinahe allein in dieser größten Stadt Deutschlands, da ich von allen Menschen, welche ich liebe, lieben könnte, beinahe entfernt leben muss." Zunehmend litt der Komponist unter dem Verlust seines Gehörs, fühlte sich einsam und missverstanden. Wichtig waren ihm da alte Freundschaften, wie die zu Gräfin Marie Erdödy, mit der Beethoven nach einem jahrelangen Zwist erst im Laufe des Jahres 1815 wieder regen Kontakt aufnahm. Jedenfalls notierte Beethoven Ende 1814 in sein Tagebuch: "34 Flaschen von der Gräfin Erdödy" – diese scheinen jedenfalls das Eis zum Schmelzen gebracht zu haben. Denn von da an begann ein reger Briefwechsel: "Ich habe, meine werthe Gräfin, ihr Schreiben mit vielem Vergnügen gelesen, ebenso wie die Erneuerung Ihrer Freundschaft für mich. Es war lange mein Wunsch, sie einmal wieder zu sehen."

Bis die Gräfin im Sommer 1815 nach Padua abreiste, dauerte die Korrespondenz an. Und ihr vertraute Beethoven auch seine Ängste und Zweifel an: "Verdrießlich über vieles, empfindlicher als alle anderen Menschen und mit der Plage meines Gehörs finde ich oft im Umgange anderer Menschen nur Schmerzen." Mit solchen Gedanken und den Sorgen um seinen kranken Bruder Karl verging das Jahr 1815 ohne dass größere Instrumentalwerke entstanden. Mit einer Ausnahme: Den beiden Sonaten für Violoncello op. 102. Und diese widmete Beethoven fast schon selbstverständlich der Gräfin Erdödy.
In der Wiener Allgemeinen Musikalischen Zeitung war in einer Rezension 1818 über die beiden Violoncello-Werke op. 102 zu lesen: "Diese beyden Sonaten gehören ganz gewiss zu dem Ungewöhnlichsten und Sonderbarsten, was seit langer Zeit, nicht nur in dieser Form, sondern überhaupt, für das Pianoforte geschrieben worden ist. Alles ist hier anders, ganz anders, als man es sonst, auch sogar von diesem Meister selbst, empfangen hat."

Die Neuerungen, die Instrumentenbauer seiner Zeit am Hammerklavier einsetzten, begrüßte und verarbeitete Beethoven für den Klavierpart, gleichzeitig lies er das Violoncello einen 'Imagewechsel' begleitende Basso continuo hin zum solistischen Streichinstrument vollführen. Beides tat er mit großem visionärem Weitblick.

Daniel Müller-Schott

Er ist erst etwas über 30 und gehört doch schon zu den Großen der Celloszene. Daniel Müller-Schott hat keine Wunderkind-Karriere gemacht und trotzdem mit 15 den sagenumwobenen Tschaikowsky-Wettbewerb für junge Musiker in Moskau gewonnen. Seine musikalische Entwicklung vollzog sich ganz unspektakulär, aber klar und stetig. Technische Souveränität und interpretatorische Gelassenheit auch bei der allerschwierigsten Literatur kennzeichnen seine Konzerte und Aufnahmen. Und wenn manche Musiker sich erst im hohen Alter reif für Bachs Solowerke fühlen, so gilt für Daniel Müller-Schott das Gegenteil. Er beeindruckte Publikum und Fachpresse, indem er mit dem Allerheiligsten der Celloliteratur, den sechs Solosuiten von Bach, sein CD-Debut gab – und damit einen großen Wurf landete. Inzwischen, acht Jahre später, umfasst seine Diskographie ein gutes Dutzend CDs, ein großer Teil davon wurde mit höchsten Preisen ausgezeichnet, wie dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik, dem Gramophone Editor’s Choice und der Strad Selection.

Daniel Müller-Schott stammt aus München, ein musikalisches Elternhaus und von Anfang an hervorragende Lehrer unterstützten seine Entwicklung. Neben seinem Studium bei Walter Nothas, Heinrich Schiff und Steven Isserlis erhielt er persönliche Förderung durch Anne-Sophie Mutter und ihre Stiftung. Mit der Geigerin und dem Pianisten Sir André Previn hat er auch schon musiziert und eine CD mit Klaviertrios von Wolfgang Amadeus Mozart eingespielt. Heute konzertiert der junge Cellist unter berühmten Dirigenten wie Charles Dutoit, Christoph Eschenbach, Michael Gielen und Kurt Masur und arbeitet mit Orchestern wie dem New York Philharmonic, dem Boston Symphony, dem Chicago Symphony und dem Philadelphia Orchestra in den USA sowie zahlreichen renommierten europäischen Orchestern zusammen. Sein Instrument stammt aus der Werkstatt des Venezianers Matteo Goffriler, es ist das "Ex Shapiro" aus dem Jahr 1727.

Christopher Tainton

Der Pianist Christopher Tainton, gebürtiger Hamburger, wurde zunächst von seiner Mutter unterrichtet, kam aber schon mit elf Jahren in die Klavierbegabtenschmiede von Karl-Heinz Kämmerling in Hannover. Nachdem er mehrere Jugendwettbewerbe gewonnen hatte, wurde er von der Deutschen Stiftung Musikleben und der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Nach weiteren Studien am Mozarteum Salzburg und in Berlin führten ihn Konzertreisen ins europäische Ausland, in die USA, nach Russland und nach China. Insbesondere eine  Chinareise in Begleitung des Bundespräsidenten zählt für ihn zu den Höhepunkten der letzten Jahre. Eine der prägenden Persönlichkeiten in seinem künstlerischen Leben war der Pianist und Dirigent Christoph Eschenbach, mit dem er seit frühester Jugend zusammenarbeitet. Beeinflusst hat ihn auch der Komponist Hans Werner Henze, dessen erstes Klavierkonzert er mit dem NDR Sinfonieorchester unter Peter Ruzicka aufgenommen hat. Neben seiner solistischen Tätigkeit ist Tainton ein gefragter Kammermusiker. Daniel Müller-Schott und Baiba Skride gehören zu seinen bevorzugten Partnern.

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Kerstin Unseld